Alines Kolumne: Über Matschmonster und Einhörner

Es ist Donnerstagnachmittag und ein Kind kommt aus dem Garten ins Haus gerannt. Ich erkenne nicht mehr viel davon, denn es erinnert eher an ein wandelndes Matschmonster, das mir scheinbar irgendwas sagen möchte. Ich schaue etwas verwirrt und hole dann aus „Sagt mal, ihr seid doch grad mal 10 Minuten draußen… was ist denn passiert?“ – „Wir spielen!“, sagt das Kind verständnislos und zuckt mit den Schultern, als sei daran doch jetzt wirklich alles zu verstehen. 

Ich schaue heraus in den Garten, um ein Blick auf die Nachbarkids zu erhaschen… alle in strahlend sauberer Montur. Ich wusste es. Ich setze wieder an: „Wie kommt es, dass du wieder der Einzige bist…“ und ich breche meinen Satz in der Mitte ab. Erwischt! Voll ins Muster reingelaufen, voll den Modus meiner Kindheit reproduziert: Ich sage das, was mir früher gesagt wurde. Ich schweige kurz, überlege und sage: „Ganz schön matschig! Was spielt ihr? Stört es dich nicht, so matschig zu sein?“ – „Nö, fühlt sich voll witzig an!“, lacht das Matschmonster und lässt den Matsch zwischen den Händen Schmatz-Geräusche machen. „Das ist schön. Vielleicht sollte ich das auch mal wieder probieren.“, sage ich. „Was wolltest du mir eigentlich sagen?“ – „Ich wollte fragen, ob wir die Käsereibe und die Kreide haben können, wir wollen bunte Matsche machen.“ – „Ähhh, na klar… sonst noch was?“, denke ich sofort. Kurze Stille. „Das ist für mich in Ordnung, wenn ihr die alte Reibe benutzt und alles an einem Matsch-Ort stattfindet, sodass wir nachher noch barfuß durch den Hof laufen können, ohne matschig zu werden.“ – „Ja klaro, Mama!“, verspricht das Kind und düst ab.

Instagram vs. Knete am Po

Ich habe in den letzten 8 Jahren viele solcher und ähnlicher Momente erlebt und dabei immer eines gelernt. Es lohnt sich – es lohnt sich, den Kindern zu vertrauen, sie zu lehren, sich an Abmachungen zu halten und dass man immer fragen darf, ohne für seine Ideen gescholten zu werden. Es lohnt sich, die Sauerei hinterher aufzuräumen und es lohnt sich, Berge von Wäsche zu haben. Denn Kinder, die experimentieren dürfen, die fühlen und spüren dürfen, die nicht denken: „Es ist besser, wenn ich mich nicht schmutzig mache, sonst gibt es Stress zu Hause!“, die fragen dürfen und nicht immer ein „Nein“ bekommen (und dazu ist es oft ein Nein, das grundlos ist), Kinder, die viel in der Natur sind und auch eigenständig klettern und rumstrolchen dürfen, sind einfach ausgeglichen, gesund und motorisch fit. 

Ich habe mich oft gefragt: „Wo sind eigentlich diese Kinder?“ – Diese Kinder, die eine Stunde lang am Kindertisch sitzen bleiben und Einhörner kneten? Bei denen alles schön brav auf dem Tisch bleibt, bei denen kein Stückchen Knete am Po, auf dem Teppich, im Mund oder in den Haaren landet? Wer hat diese Kinder? Und wenn ja, wie kommt es dazu, dass diese Kinder so spielen? Ich könnte täglich an mir zweifeln, wenn ich sehe, wie schnell meine Kinder im Verwüsten und Verschmieren sind. Dann denke ich manchmal, ich gebe jetzt auf… All diese schön glänzenden Instagram-Kinderzimmer, in dem doch sicher noch nie ein Kind gespielt hat. All die schönen Röckchen und Hemdchen, die mit Weiß-der-Propper-Propper-Weiß gewaschen werden, aber doch nie schmutzig waren.

Unser hauseigenes Matsch-Labor

Auch wenn es soooo anstrengend ist und so verdammt gegen unsere angepasste Erziehung geht, ist es doch so unglaublich befreiend und gut, meine Kinder so freispielend sehen zu können. Sie erforschen im Spielen: Es wird nass, es wird matschig, es werden Pfützen und Baggerseen leergetrunken, es wird löffelweise Sand gekaut und Knete probiert. Es wird ausprobiert, wie es ist, wenn ich mir in die Hose mache und ausprobiert, wie es ist, wenn ich mir die Kacke-Windel selbst ausziehe. Es wird ausprobiert, als was man sich mit Mamas Sachen alles verkleiden kann und wie schön es ist alle Farben tragen zu können die man schön findet. Es wird ausprobiert zu sägen und zu schneiden und wie es ist, wenn man sich verletzt. Es wird ausprobiert, wie schnell man einen Schotterhang hinunterfahren kann, ohne zu bremsen und ohne, dass die Eltern schreiend hinterherlaufen. Es wird ausprobiert, wie man mit voller Wucht in einem Bach landen kann, und auch wieder herauskommt. Es wird ausprobiert, wie glitschig ein Regenwurm ist und beobachtet, wie schön eine Schnecke glänzt. Es werden Farben, Kastanien und Eicheln in die Reibe geschmissen und buntes Mehl gemacht , sodass es zu Hause aussieht wie bei einem Holi-Farben-Festival! Es wird ausprobiert, wie sehr man Banane und andere Dinge zermatschen kann und wie gut man damit Dinge festkleben kann. Es wird ausprobiert, wie lang man Wasser laufen lassen muss, bis ein Waschbecken überläuft und es wird ausprobiert, was alles im Klo schwimmen kann. 

Ja, für uns Eltern ist es extrem anstrengend und man muss eine Engels-Geduld aufbringen, um die Kinder so forschen zu lassen! Aber für sie bedeutet es alles. Für sie bedeutet es Kindheit. Wahre Kindheit. Und Kindheit kann man nicht nachholen. Die Kinder brauchen sie jetzt.


Aline

Aline Diller

Aline Diller ist Pädagogin und 3-fach Mama aus Karlsruhe. Sie schreibt über Themen rund ums Eltern-Sein.

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