Gesundheit

Grafik: Günter Land

Neulich las ich, dass man seinen Geist und damit seinen Körper umpolen kann von Krankheit auf Gesundheit. Das ist ja mal ein super guter Ansatz!

Ich beginne damit, dass ich das Wort Krankheit aus meinem Denken und Sprachgebrauch streiche. Was die AOK kann, werde ich wohl auch schaffen. Vielleicht sollte ich auch gleich meine Krankenkasse – da ist es schon wieder, dieses Wort – wechseln, denn die Techniker hat sich noch immer nicht umbenannt in Gesundheitskasse.

Auf meiner Krankenkassenkarte schaut mich mein biometrisch verunstaltetes Antlitz an und schon fühle ich mich irgendwie schwach. Ein bisschen fiebrig und etwas kratzig im Hals. Ob ich was nehmen sollte? Vielleicht ein paar Globuli und etwas Pflanzliches zum Lutschen, vielleicht noch etwas für die Abwehr?

Nein, schließlich sind ab jetzt neue Zeiten angebrochen. Ab jetzt wird sich nur noch auf die Gesundheit mit all ihren Facetten fokussiert, werden Mantras gemurmelt, auch beim Autofahren und während des Einkaufens. Letzteres könnte unerwartete Nebenwirkungen haben, denn Menschen, die murmelnd die Gänge zwischen Kühlregal und Backwaren abschreiten, wirken auf ihre Umwelt nicht unbedingt seelisch stabil. Ich murmle also im Stillen.

Ich werde ab sofort sämtliche Diagnosen, Beschwerdebilder und Symptomvorschläge im Netz links liegen lassen und Dr. Google mit Missachtung strafen, allen selbst ernannten Experten den Kampf ansagen und mich nie wieder auf ihre dramatische Erfahrungsberichtsolympiade einlassen. Frei nach dem Motto „Stechende Schmerzen im Unterbauch, Verdacht auf Totalausfall aller Organe, beinahe Klinischer Tod – war dann aber doch nicht so schlimm, Diagnose auf Laktoseintoleranz. War ein langer Weg.“ Diese Foren sind nichts für schwache Nerven. Ich lasse ab davon und werde gelassen reagieren, wenn wieder einmal eins unserer Kinder aus der Ferne in den Telefonhörer hustet und befürchte nicht sofort ein Versagen der Tuberkuloseimpfung.

Ich entspanne mich, denke an grüne Power Smoothies, die nach Weizengras duften und leider auch so schmecken, erwecke meine Selbstheilungskräfte zum Leben, selbst dann, wenn die sich schon im Totenreich gemütlich eingerichtet hatten. Ich werde Yoga praktizieren und mich von Energie durchströmen lassen und mich tagelang an den wohltuenden Muskelschmerzen erfreuen, die mein noch nicht mal fürs Seniorenturnen geeigneter Körper mir danach bereiten. Ich werde mich der Bewegung als essentiellen Schlüssel zum allgemeinen Wohlbefinden erfreuen und wieder einmal feststellen, dass ich den Wechsel zwischen Spannung und Entspannung eigentlich von Natur aus gar nicht bräuchte. Mit der Entspannung alleine komme ich bisher ganz gut klar. Ich werde der hiesigen Apotheke und dem ortsansässigen Marktführer in Sachen Homöopathie nicht verraten, dass beide eine Außenstelle in unserem Abstellraum betreiben.

Ab jetzt wird alles anders, denn Krankheiten existieren nicht mehr oder werden einfach aus einer anderen Perspektive betrachtet. Die neuen Gesundheiten heißen beispielsweise „Extreme Hinwendung zum Schlaf, begleitet von innerem Saunieren“ oder „Besonderes neurologisches Augenmerk auf die untere Rückenpartie mit völlig neuartigem Bewegungsmuster“. Vielleicht auch „Eigenwillige Ansammlung von Adipozyten in der Körpermitte“ oder „Concerto Grosso für zwei Flöten, eine singende Säge und einen Bohrhammer im Innenohr“. Alles eine Frage des Perspektivenwechsels!


Eva

Eva Unterburg

Eva Unterburg schreibt wunderschöne Rezensionen über Kinderbücher und ist langjährige Freundin der Redaktion.

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