Plädoyer für mehr Langeweile

Unsere Autorin Sarah Nagel schaut mal hinter den Ferien-Aktionismus

Autorin Sarah Nagel

Es sind Ferien! Die Kids freuen sich, die Eltern sehen den sechs langen Wochen oft mit gemischten Gefühlen entgegen. Denn so toll die freie Zeit auch ist, irgendwann schleicht sich immer ein kleiner Teufel ein: die Langeweile.

Schließlich regnet es vielleicht in Strömen, jedes Spielzeug ist schon bespielt worden, oder die Freunde sind alle im Urlaub. Doch anstatt in Hektik zu verfallen und sich panisch den Kopf darüber zu zerbrechen, was man den lieben Kleinen als nächsten Programmpunkt präsentieren könnte, gibt es auch eine andere Lösung, die da lautet: die Hände in den Schoß legen und der Langeweile Raum geben.

Langeweile wird allgemein als negativ wahrgenommen. Forscher haben in Experimenten gezeigt: Der Mensch tut fast alles, um dieses Gefühl zu vermeiden. Dabei ist sie medizinisch gesehen eine äußerst wertvolle Erfahrung. Vereinfacht gesagt, nimmt unsere Hirnaktivität bei Langeweile nur wenig ab. Es kommt aber zu einem entscheidenden Prozess: dem Gedankenwandern. Die Gedanken wandern dahin, wo sie vorher noch nicht gewesen sind – und so werden neue Ideen erzeugt.

Der berühmte Schweizer Kinderarzt und Fachbuchautor Remo Largo fügt noch einen weiteren Aspekt hinzu: „Jeder Mensch braucht eine gewisse Leere, um zu spüren, was er will. Wie soll man sonst im Lauf der Zeit erkennen, wer man ist? Es ist bedauernswert, dass diese Leere heute oftmals fehlt. Langeweile ist gut.“

Langeweile fördert also die Kreativität. Und wenn man genauer darüber nachdenkt, ist das ja auch ganz logisch. Reagieren Eltern auf den so beliebten Satz „Mir ist laaangweilig“ mit immer neuen Betreuungsangeboten, setzt sich im Kopf des Kindes schnell fest: Ich muss gar nicht selbst aktiv werden. Mama und Papa bespaßen mich schon. Und die Eltern meinen es ja auch gut. Sie möchten dem Kind etwas bieten, es fordern und fördern, trotz oder gerade wegen der hektischen und getakteten Alltagsroutine.

Doch zwischen dem Kinderturnen montags, der Musikstunde dienstags, der Nachhilfe mittwochs und der Fußballstunde freitags bleibt für die Kids kaum noch Gelegenheit, eigene Spielestrategien zu entwickeln. Dann die Dauerbespaßung in der KiTa, der Schule und zu Hause wird beim ersten Anflug von Beschäftigungslosigkeit der Fernseher angemacht oder zu Videospielen gegriffen.

Der dänische Familientherapeut Jesper Juul hat zu so viel externer Stimulation eine klare Meinung: „Den Druck erzeugen die Kinder, denn sie wurden stimulationssüchtig gemacht. Ohne Anregung oder Bespielung haben sie regelrecht Entzugserscheinungen. Sie beschweren sich und fordern von den Eltern, unterhalten zu werden.“ Sein Tipp: „Sie umarmen Ihr Kind und sagen zu ihm: Herzlichen Glückwunsch, mein Freund! Es interessiert mich, zu sehen, was du jetzt tust.“

Aber dafür ist es natürlich erst mal wichtig zu wissen, ab wann und wie lange ein Kind überhaupt alleine spielen kann. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gibt in dieser Hinsicht Aufschluss: „Im ersten Lebensjahr sind das eher kurze Zeitspannen von fünf bis zehn Minuten, in denen sich Babys mit ihrem Körper, ihrer Stimme oder einem Gegenstand beschäftigen. Zwischen einem und drei Jahren spielen Kinder auch schon mal bis zu dreißig Minuten allein. Ältere Kinder, insbe­son­dere ab dem Alter von drei, spielen oft schon sehr ausgiebig und lange allein oder sie malen und basteln. Sie ziehen sich auch gern einmal ins Kinderzimmer zurück, um sich dort in Ruhe mit etwas zu beschäftigen.“

Und die BZgA hat auch noch ein paar gute Tipps auf Lager, wie das Alleinspielen gefördert werden kann. Die wichtigste Regel: Unterbrechen Sie Ihr Kind möglichst nicht, wenn es sich alleine beschäftigt, weil es Sie jetzt schlicht und einfach gar nicht braucht. Wenn etwas nicht klappt oder stockt, Zurückhaltung üben oder maximal kleine Anregungen geben, dann geht es oft schon weiter. Eine reizvolle, aber nicht überladene Spielumgebung hilft dabei – also Mal-, Bastelsachen oder Basis-Legosteine bereitlegen. Bei ganz jungen Kids kann man auch erst neben (nicht mit) ihnen spielen und sich dann räumlich entfernen, aber in Hörweite bleiben. Und, so empfiehlt das BZgA: „Loben Sie Ihr Kind, wenn es sich selbstständig und konzentriert beschäftigt hat.“

Beim „Bespaßungsfasten“ ist es auch ein wichtiger Baustein, die Nachmittagstermine der Kinder zu reduzieren. Die meisten Experten schlagen vor, maximal ein bis zwei Aktivitäten pro Woche für ein KiTa-Kind zu vereinbaren. Davon ausgeschlossen sind selbstverständlich Verabredungen mit anderen Kindern.

Das Ganze hat nicht nur die positive Auswirkung, dass Eltern entlastet werden, weil sie sich nicht für die Beseitigung der Langeweile verantwortlich fühlen müssen. Auch als Erwachsener kann sich ein Kind dann besser auf eine Aufgabe längerfristig konzentrieren. Also, liebe Eltern: Sie dürfen auf dem Sofa sitzen bleiben – und sich selbst auch mal langweilen.


Redaktion

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