Schminkkurs

Schminkkurs

Neulich war ich bei einem Workshop. Dieses Mal ging es nicht um Stimmbildung, Rhetorik oder Zeitmanagement, sondern ums richtige Schminken. Ein vielversprechendes Thema, das ich in meinem fortgeschrittenen Alter eigentlich schon lange selbst angehen wollte und das nun dank eines Geschenkgutscheins einer lieben Freundin Gestalt annehmen sollte. Jenseits von dicken Rougebalken, schwarzumränderten Augen und dilettantisch aufgetragenem Lidschatten, hoffte ich an diesem Nachmittag in all jene Geheimnisse  eingeweiht zu werden, über die junge Mädchen offenbar mit dem Erreichen des zwölften Geburtstages  automatisch verfügen.  Dank des Karlsruher Verkehrs kam ich zu spät und betrat deshalb kurzatmig die Heiligen Hallen der Parfümerie. Sofort nach dem Schließen der Tür umhüllten mich verführerische Düfte und drang leises Gemurmel von  Beratungs- und Verkaufsgesprächen an mein Ohr. Vorbei an unzähligen Tiegelchen und Töpfchen, Hochglanzfotografien bildschöner lasziv blickender Supermodels und schimmernden Flacons ging es nun zum Workshop-Raum.

Dort waren die Freundinnen, dazu zwei andere deutlich jüngere Teilnehmerinnen und die reizende Visagistin gerade bei der Einführung ins Thema. Ich lernte etwas, das man eigentlich als Frau meines Alters schon lange verinnerlicht haben sollte, wenn man nicht als truthahnhalsiges Faltenmonster enden wollte, nämlich die perfekte Reinigung des Gesichts am Morgen und – was noch viel wichtiger ist – am Abend. Beschämt dachte ich an meine jahrelang praktizierten Wasser- und Seifeaktionen, an all die vergeudeten Jahre ohne Reinigungsmilch und den dazugehörigen Seren. Ganz zu schweigen von den passenden Tages- und Nachtcremes. Ob meiner im Spiegel mich anstarrender groben Poren schwor ich stante pede allem preiswerten Billigtand aus dem örtlichen Drogeriemarkt ab und befühlte die wunderbar zarte Pfirsichhaut in meinem Gesicht, die sich binnen weniger Minuten dank diverser Peelings und Cremes eingestellt hatte. Ein einziges Wunder! Jetzt hatte ich Blut geleckt und fragte mich um Kopf und Kragen. Dabei taten sich völlig neue Begriffswelten auf: revitalisierend, Anti-Aging, Cleansing Balm, Regenerating Mask, tiefe Zellerneuerung, rosiger Glow. Wie, Sie wissen nicht was ein Glow ist? Bis vor kurzem hätte ich noch „glänzende Speckschwarte“ zu dem gesagt, was mich wie das Antlitz eines nivea-gecremten Kindes an einem winterkalten Morgen aus dem Spiegel ansah. Doch nun war klar, das ist der natürliche Glow, der sich einstellt, wenn die Haut endlich einmal mit all dem versorgt wird, was sie jahrelang vermissen musste. „Das vergeht gleich“, beruhigte mich die sachkundige Kosmetikerin und tatsächlich, sie sollte Recht behalten. Nun war die Haut und ich als ihre Trägerin bereit für Phase zwei der Experiments Schminken: die Grundierung. Beim Auftragen dieser alle ungeklärten Hautstellen  abdeckenden Masse, kamen mir Assoziationen vom letzten Tapeziermarathon meines Arbeitszimmers. Doch schon war es Zeit für den nächsten Schritt, das eigentliche Makeup. So ebenmäßig sah ich vermutlich am Tag meiner Hochzeit zum letzten Mal aus, keine kleinen roten Äderchen, keine ewig lustigen Wangen und hektischen roten Flecke. Ja, so könnte es jetzt weitergehen.

Auch die anderen Kursteilnehmerinnen gefielen sich zusehends in ihrer Verwandlung und wir sparten nicht an gegenseitigem Lob, doch wo bei den beiden jungen Frauen bald große leuchtende Augen zu sehen waren, kämpfte ich noch mit meinen Schlupflidern. Bei ihnen gehen die jahrelange Einwirkung der Schwerkraft und das genetische Erbe meiner Familie eine unheilige Allianz ein, bei der das Ende noch nicht abzusehen ist. Aber auch bei dieser Problemzone, so lernte ich, gibt es kleine Tricks, um das Auge optisch größer wirken zu lassen. Nachdem dann noch Mascara, Unterlidschutzzeugs, Lidschatten, Lidstrichstifte, Sonnenpuder und eine unübersichtliche Anzahl von zu benutzender Pinsel das Schminkareal vor mir immer mehr einengte, hatte ich den Überblick trotz eifrigen Mitschreibens verloren. Wann war der Concealer noch mal dran? Und was macht man mit Lippenstift, wenn man dazu neigt ihn aufzuessen? Wie hieß das Teil, das man zum Bürsten der Augenbrauen benutzt? Ach so, Augenbrauenbürste, da hätte ich auch selbst drauf kommen können. Trotz allgemeiner Verwirrung war das Ergebnis bei allen Teilnehmerinnen wunderbar: strahlende ebenmäßige Gesichter wohin man sah. Geballte Schönheit sozusagen. Das sollte nun jeden Tag so sein, darin war ich mir mit der freundlichen Makeup-Artistin einig. Sprach es und begann mit dem hemmungslosen Kaufrausch durch die gesamte Parfümerie, dessen tatsächliches Ausmaß ich erst beim Erreichen meines Kofferraums richtig realisierte. Die beiden Taschen waren doch ganz schön schwer geworden und mein Konto überraschend leicht. Nun ja, wenn man bedenkt, dass ich nun ein halbes Jahrhundert beinahe kosmetikresistent gelebt habe und zudem hochrechnet, was ich dabei alles gespart habe, ist die Summe der gekauften Wundersachen doch eher verschwindend gering – dachte ich mir, als ich zuhause die Tiegelchen und Töpfchen, die Tübchen und Schächtelchen fein säuberlich in Reih und Glied im Badezimmer positionierte.


Eva

Eva Unterburg

Eva Unterburg schreibt wunderschöne Rezensionen über Kinderbücher und ist langjährige Freundin der Redaktion.

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