Gerhard Spitzer zum Thema Medienkompetenz: Elektronische Medien aus dem Blickwinkel von Kindern

Früh übt sich...

Gerhard Spitzer, der bekannte Wiener Verhaltenspädagoge und Autor von Top-Sellern wie „Entspannt Erziehen“ und „Warum zappelt Philipp?“, hat mit seiner humorvollen und konsequent kindgerechten Sichtweise schon zahllosen Eltern zu einem entspannteren Umgang mit ihren Kindern verholfen. Einer breiten Hörerschaft ist Spitzer durch seine Hörfunk-Live-Talks, sowie mit seinem erfolgreichen Seminarkabarett, „Kinder im Tyrannenmodus“ bekannt geworden.

Grund zur Freude? Diesmal muss ich ein ziemlich „heißes Eisen“ angreifen: Thema „Medienkompetenz“! Dieses top-angesagte Schlagwort wird aktuell an allen Ecken und Enden freudestrahlend verhökert. Na gut, sei´s drum! Allerdings: Meinem schlichten Gemüt, das ja andauernd nur auf dieses gar seltsame, kindgerechte Denken ausgerichtet ist, eröffnet sich bei all der Hökerei nicht annähernd genug Grund zur Freude!

Warum das so ist, wird gleich klar wie eine Mattscheibe! Wir schauen nämlich mal kurz bei Marvin, einem zwölfjährigen Computer-Nerd vorbei …

Elektronischer Notfall „Helfen Sie uns bitte!“, fleht Alfred, Yasemins Vater, „unsere Tochter kann sich überhaupt nicht mehr vom Computer trennen! Drei Bildschirme hat sie schon auf ihrem Schreibtisch rumstehen. Vor ihrem Gesicht hängt ein Profi-Mikrophon! Die Kopfhörer hat sie sowieso immer auf und spielt bis tief in die Nacht hinein im Internet! ´Zocken´ nennt sie das! Wenn es uns mal reicht und wir das Netz abschalten, knallt sie die Türe zu und daddelt dann munter auf ihrem Smart Phone weiter. Oft wartet sie damit sogar, bis wir eingeschlafen sind! Keine Chance, sie lückenlos zu überwachen. Wie bekommen wir das in den Griff? Wir haben doch ohnehin nach Kräften versucht, ihr so früh als möglich einen gesunden Umgang mit den elektronischen Medien zu ermöglichen!“

Noch gesund? Aha! Da haben wir’s! „Gesunder Umgang“ also! Dass hier aber sowieso nix mehr mit Gesundheit ist, wird mir klar, als ich die liebe Yasemin zum ersten Mal interviewen darf. Meine Frage nach Alternativen zum Zocken beantwortet das gute Mädchen so: „Na ich weiß doch nicht, was ich sonst machen soll!“ Autsch! So etwas aus Kindermund zu hören, ist schon ein bissl deprimierend! Aber: Willkommen auf dem neuen Planeten der Kinder; diesen Satz höre ich bei Bildschirm-abhängigen Kids in letzter Zeit immer öfters. Eines will ich von Papa Alfred deshalb noch wissen: „Wann haben Sie Yasemin eigentlich ihr erstes Tabletten-Daddel-Ding gekauft?“

Die Antwort überrascht mich kein bisschen: „Mit fünf Jahren!“ Kein Zufall So! Genug gehört, euer Ehren! Verhandlung geschlossen! Wie gesagt, klar wie Mattscheibe: Yasemin ist ein schwerer Fall von Flät-Skrien-Junkie! Anders gesagt: Eine Süchtige. Kein Einzelfall klarerweise, weil natürlich alle Computer gestützten Freizeitbeschäftigungen dieser Welt so pfiffig programmiert sind, dass man möglichst flott davon abhängig wird. Daraus ergibt sich die hohe Gefahr einer Verhaltenssucht, die – was leider die wenigsten Eltern wissen – nicht minder gefährlich ist, als eine Substanzen-bezogene Sucht.

Kein Zufall also, das ganze globale Dilemma! Die gute Frage ist dennoch: Warum gibt es in deutschen und natürlich auch in Österreichischen – Kinderzimmern so erschreckend viele Computersüchtige Jugendliche, wo die gesamte Fachwelt doch gerade so dermaßen durchdacht an einer möglichst frühen Medienkompetenz unserer Kinder bastelt? Antwort: Weil die frühe Verabreichung von Suchtmitteln nicht kompetenter, sondern schlichtweg früher süchtig macht! Punktum!

Harte Vergleiche „Ja, ja!“, wird manch Eine/r denken, „das ist doch bloß die Erkenntnis eines ziemlich schlichten, etwas zu kindlichen Gemüts!“ Mitnichten! Auch g´scheitere Leut´ als ich selbst es bin, wandeln schon auf diesem Erkenntnis-Pfad. Beispielsweise der Neurologe und Bestseller-Autor, Manfred Spitzer. In seinem aktuellen Werk, „Cyberkrank“ stellt er sogar Vergleiche mit harten Drogen an und wartet dazu mit wissenschaftlich bestens fundierter Recherchearbeit auf. Ich empfehle diese Lektüre übrigens gleichermaßen dringend, wie von Herzen. Ich selber bringe es eher mit einer süß-sauren Metapher auf den Punkt: Wird ein Kind, das man ganz früh Tag für Tag mit kleinen Portionen Gummibärchen abgefüttert hat, später als Jugendliche/r „kompetent“ damit umgehen, bzw. wird es bei seinen „kleinen Portionen“ bleiben? Oder wird dieses arme Wesen dann schlichtweg zu einem Gummi+Zucker-Staubsauger mutiert sein? Diese Sichtweise scheint im Fall der High-Tech-Medien aber kaum jemand zu interessieren. Das erkennt man sehr gut in der Bildungslandschaft:

Immer mehr Schulen verpflichten Kinder dazu, ihre Hausaufgaben nicht mehr zu erlesen und händisch zu schreiben, sondern komplett via Internet und Tippserei zu erledigen. So nebenbei kaufen öffentliche Bildungseinrichtungen massenhaft Elektronik-Schrott ein.

Medienkompetenz muss man halt haben! Echt? Muss man das? Ich hatte immer gedacht, Lebenskompetenz müsse man zuerst und vor allem haben. Die aber erwirbt man nie und nimmer an Bildschirmen, auch dann nicht, wenn man Tatsch-Skrien und Co. noch so „kompetent“ nutzt! Man erwirbt diese Kompetenz ausschließlich im möglichst intensiven Austausch mit Menschen. Am besten mit geliebten oder zumindest geachteten Bezugspersonen, Lehrer inklusive.

Tauschen Sie sich also gleich ab heute noch intensiver und mit noch mehr Eigen-Begeisterung als bisher mit Ihrem Kind aus und entdecken Sie anstelle von neuen High-Tech Ausrüstungen, neue, wundersame Gemeinsamkeiten!

Sie werden es mögen!


Redaktion

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