Kürzlich konfrontiert mich Nathalie L. aus Stuttgart, eine werdende Mutter beim ersten Beratungsgespräch mit zwei Fragen: „In einem namhaften Eltern-Ratgeber habe ich gelesen, dass gerade die allerersten Lebensjahre für die Erziehungsarbeit maßgeblich sein sollen! Stimmt das denn?“ Und bevor ich zu Wort komme, gibt es Nachschlag: „und ab wann soll ich denn dann mit der Erziehung meines Kindes beginnen?
Gute Vorlage, liebe Nathalie! Auf Ihre erste Frage gibt es für mich nämlich nur eine pfiffige Antwort: „Namhafter Eltern-Ratgeber? Damit können Sie nur das KARLSRUHER KIND meinen!“ (Anm. d. Red.). Natürlich muss ich obendrein von Herzen zustimmen: „Ja, liebe Mutti, da haben Sie richtig gelesen. In den allerersten Jahren prägen Sie als Eltern das Selbst- und das Weltbild Ihres Kleinkindes extrem stark!“ Nicht ganz unerwartet keimt tieferes Interesse auf: „Und wie meinen Sie das mit dem Prägen genau? Wie geht das in der Praxis?“. „Nun, das geht ganz einfach!“, antworte ich schmunzelnd, „durch fortwährendes Abkupfern Ihrer Taten und Worte als Eltern!“
Wir sollten uns auch für das verantwortlich fühlen, was wir denken und empfinden.
Ja, so einfach ist es: Ihr künftiger Sonnenschein wird Ihnen bald bei allem, was Sie tun oder sagen, überaus neugierig zuschauen und alle Ihre typischen Verhaltensmuster für die nächsten achtzig Jahre in seinem kleinen aber feinen Köpfchen abspeichern. Beispielsweise erkennt Ihr Kind schon sehr früh, ob Sie und Ihr Partner auf herausfordernde Situationen vorzugsweise gestresst oder lieber entspannt reagieren. Danach richtet sich dann sein späteres Grundverständnis, zum Beispiel, ob all die Gläser, die ihm auf seinem Lebensweg begegnen, halb voll oder eher halb leer sind!“
Oft staune ich, wie früh dieser Vorgang schon bei Kleinstkindern zu beobachten ist. Beim zunächst noch kommentarlosen Zusehen und innigen Mitlauschen stellen sich nämlich schon die allerkleinsten Würmchen unterbewusst Fragen wie diese: „Nehmt Ihr, meine lieben Eltern, eigentlich alles furchtbar schwer, oder habt Ihr’s vielleicht auch ein wenig lockerer auf Lager?“ Solche und andere elementare Erkenntnisfragen tauchen von ganz alleine auf. Dazu brauchen Sie, liebe Eltern noch gar nichts bewusst beizutragen.
Erziehung passiert
Erziehung passiert also schon, wenn Sie in Blickweite Ihres süßen Minis eine Sache „fürchterlich tragisch“ nehmen oder stattdessen auch für das wildeste Missgeschick zutiefst positive Denkweisen wie diese parat haben: „Na, vielleicht ist der ganze Schlamassel ja für irgendetwas gut!“ Sicherlich können Sie gut nachvollziehen, welche beruhigend-ausgleichende Langzeitwirkung letzteres für Ihren kleinen Liebling haben wird. Probieren und beobachten Sie dieses wundersame Phänomen ruhig eine zeitlang. Es ist ein überaus praktischer Selbstläufer der Natur. Aber man sollte diesen heimlichen Begleiter eben auch kennen um dieses Wissen zu gegebener Zeit auch erzieherisch anwenden zu können.
Spracherziehung?
Auch manch eine spannende Entwicklungsphase für das Gehirn eines Säuglings läuft ganz von selbst. Ein klassisches Beispiel hierfür ist die Spracherziehung. Es ist Ihnen hoffentlich klar, an welchem Ort schon die allerkleinsten Kinder jede beliebige Sprache perfekt erlernen? An einer guten Privatschule etwa? Oder vielleicht in einem speziellen Ultra-Frühförderungs-Sprach-Schwerpunkt-Kinder-Überforderungs-Tagesstätte?
Mitnichten! Sprachen werden am effizientesten in der Küche erlernt! Und diese geniale Erkenntnis stammt nicht einmal von mir! Wie schade!
Kinder lernen eine Sprache viel eher in der Küche, als in der Schule
Achten Sie doch in nächster Zeit mal ganz genau auf kleine, stille „Zuhörer“, während Sie in der Küche mit Ihrem Partner oder der Schweigermutter gerade über Gott und die Welt diskutieren. Jetzt haben Sie die Gelegenheit, Ihrem Sonnenschein genau jene Sprachgewandtheit zu verpassen, die Sie sich in Ihren kühnsten Eltern-Träumen vorgestellt haben.
Aber Achtung: auch „nicht kindgerechte“ Texte kommen passgenau an. So klein kann der süße Pfiffikus gar nicht sein, dass er nicht auch manch ein „unaussprechliches“ Wort aufnimmt und später – viel später – plötzlich selber arglistig anwendet. Dann sind alle furchtbar überrascht über das „freche Fehlverhalten“ ihres vorher noch süßen Sprösslings und holen sich In wilder Panik einen Erziehungsberater ins Haus.
Ja, gut! Ist ein wenig überzeichnet, ich weiß! Aber Sie wissen ja: Der Zweck heiligt die Mittel!
Sprache nach Maß
Besser, wir kehren zurück zum „maßvollen Sprachansatz“ von vorhin: Wenn Sie sich also vielleicht schon lange insgeheim wünschen, dass Ihr Kind später ganz bestimmte Ausdrucksweisen anwendet oder diese vermeidet, dann unterhalten Sie sich miteinander auf diese spezifische Art und Weise. Achten Sie hierbei darauf, dass Sie Ihre „Wunschbegriffe“ und Formulierungen nicht in kurzer Zeit wesentlich verändern. So kann Ihr Kind die ihm vorgelebte Sprachanwendung verankern und eines Tages – schon wieder eine Überraschung – wird es genau so sprechen wie Sie! Aber halt! Bitte jetzt kurz innehalten: Wollen Sie das wirklich?
Zu guter Letzt noch dies: „richtig“ erziehen ist wahrlich ganz einfach! Schauen und hören Sie Ihrem Kind ganz genau zu und Sie wissen, wie Sie sich im Vorfeld beim Erziehen verhalten haben. Erkennen Sie darin vielleicht Ihr bestes Spiegelbild.
Sie werden es mögen.