Kniestrümpfe, Frühling und Kindheit

Frühling und Kniestrümpfe Kindheitserinnerungen von Eva Unterburg Grafik: Günter Land

Meisen jagen im Sturzflug hintereinander her, um sich lautstark die besten Meisenweibchen zu sichern. Die ersten Mücken tanzen elegant über dem noch braunen Rasen im Garten. Es zwitschert und tiriliert alle­rorten und im Schlossgarten erblühen tausend kleine Sternchenblumen in sattem Blau. Kinder bücken sich, um Gänseblümchen zu pflücken, die zusammen mit viel grünem Gras von stolzen Eltern als Geschenk entgegengenommen werden. Noch sind sie trocken, die städtischen Springbrunnen, doch auf dem Entensee im Park ziehen zwei Schwäne bereits majestätisch ihre Kreise und nehmen gnädig die zugeworfenen Brotkrumen auf.

Man möchte jeden Krokus einzeln aus der braunen Erde ziehen, zu lange hat man die bunten Farben vermisst. Amateurfotografen liegen mit dem Bauch auf der feuchten Wiese, um sie in voller Pracht auf den Chip ihrer neuen Kamera zu bannen. Junge Eltern tragen ihre Babys mit Tragesäcken vor der Brust. Die kleinen sichtbaren Füßchen, die in diesen kugelförmigen Gebilden als einziges von der Anwesenheit eines Menschenjungen zeugen, scheinen sich an der wärmenden Sonne zu erfreuen. Die ersten dicken Hummeln ziehen, noch nicht ganz auf Betriebstemperatur, torkelnd ihre Kreise und verschwinden für Minuten summend in den Blütenkelchen der gelben Narzissen. Es ist eine Lust zu leben! Es ist Frühling, endlich! Die Menschen lächeln sich an, drängen sich gegenseitig in unübersichtlicher Verkehrslage die Vorfahrt förmlich auf, strahlen ohne Not vor sich hin und lassen sich zu überschwänglichen Begrüßungsritualen an öffentlichen Plätzen hinreißen.

In meiner Kindheit war jetzt spätestens die Zeit, die weißen Kniestrümpfe auszupacken und sie kompromisslos bei jedem Wetter so lange zu tragen, bis es die ersten Blätter im Frühherbst von den Bäumen wehte. Mahnende Mutterworte prallten an uns Zehnjährigen ab wie Wasser an modernen Sanitäreinrichtungen mit Lotuseffekt. Wir fühlten uns immun gegen die in den schlimmsten Visionen heraufbeschworene Blasenentzündung, die nahtlos in eine Nierenkolik münden sollte und zwangsläufig in einer wochenlangen stationären Aufnahme im örtlichen Krankenhaus enden würde. Von den Spätfolgen wie „Leben mit nur einer Niere“, keine Kinder bekommen können und am Ende ein trauriges Leben an der Blutwäsche fristen zu müssen, ganz zu schweigen. Immer wieder fragten wir uns im Freundinnenkreis, wie man wohl Blut wäscht und welche Putzmittel dafür benutzt würden. Dabei saßen wir nebeneinander auf unseren Schaukeln und ließen die bekniestrumpften weißen Kinderbeine im lauen Frühlingswind baumeln. Passend zur Jahreszeit startete in den folgenden Tagen eine von uns die große Eierausblas-Saison, indem sie ihre Mutter inständig bat, die nächsten Tage möglichst viele Pfannkuchen, Omeletts und Torten in den Speiseplan zu integrieren. An steigende Cholesterinwerte oder gar verseuchte Eierschalen dachte dabei niemand. Wie alt die Eier waren, an denen wir uns pustend rote Köpfe holten, interessierte nicht groß. Irgendwann waren sie vom nahen Bauern gekauft worden und ab und an war auch ein angebrütetes dabei. Wegen des eindeutigen Geruchs und dem etwas schwerer gängigen Pustevorgang regte man sich nicht weiter auf, so war sie eben die Natur.

Und dann begann das große Basteln, das damals noch nicht künstlerisch praktisches Gestalten hieß. Es wurde geklebt, bemalt, beglitzert und verschönert, was das Zeug hielt, bzw. die heimische Bastelutensilienkiste hergab. Selbst an festgeklebte Nudeln auf den Ostereiern kann ich mich erinnern, selbstredend im ungekochten Zustand. Und dann nahte der Ostersonntag mit seinen unglaublichen Verlockungen, die nach all den traurigen Passionstagen köstliche kulinarische Leckereien verhießen. Und ganz egal, ob bei strahlendem Frühsommerwetter, hässlichen kalten Sturmböen oder gar kirchenjahrbedingten Graupelschauern: es wurden Eier gesucht im Garten. Selbstverständlich im dünnsten Flatterrock, der weißen Bluse mit den kurzen Puffärmeln und den schönsten Kniestrümpfen ever – die mit den gehäkelten Spitzen um das viel zu lummelig sitzende Gummiband. Falls Ihre adoleszenten Mädchen auch meinen, die dünnsten Leggings tragen zu müssen und Ihre Jungs ständig ohne Jacke im ärmellosen T-Shirt das Haus verlassen – das hatten wir alles schon und Nierenkoliken gibt‘s davon in den seltensten Fällen. Eher vielleicht einen Gehirnschlag beim unkontrollierten Eierauspusten…


Eva

Eva Unterburg

Eva Unterburg schreibt wunderschöne Rezensionen über Kinderbücher und ist langjährige Freundin der Redaktion.

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