Eiskalt erwischt

Gerade wollte ich den Rechner zuklappen, da kommt eine Mail meiner Verlegerin. Sie hätte schon länger nichts mehr von mir gehört, ob ich denn den Druck am Dienstag noch im Blick hätte. Schrecksekunde, wie Dienstag? Übermorgen? Wieso? Ach herrje, sie hat Recht und ich habe eine offenbar völlig defekte innere Uhr. 

Über Jahrzehnte war klar: bis Mitte des Monats müssen die Buchbesprechungen und die Kolumne durch die elektronische Rohrpost gerutscht sein, um dort in den Räumen des Kaki in Form gebracht und an die richtige Stelle der kommenden Ausgabe gesetzt zu werden. 

Und nun das: die Dezembermitte ist längst überschritten und mein Hirn befindet sich im Steinzeitmodus: Das Mammut steht mit dem Säbelzahntiger gruselig vereint direkt vor mir und mein Stammhirn kann nur noch Flucht oder Lähmung. 

Ob das gut geht? Von kopflosem Wegrennen oder komplettem Stillstand ist noch selten etwas Kreatives entstanden. 

Aber der Mensch ist ja ein seltsam Wunderding. Unter Druck klappt doch so Manches. Da werden beispielsweise im Museum in allerletzter Sekunde Ausstellungsschildchen an Objektvitrinen angeklebt, wenn der ministeriale Ehrengast bereits im Eingangsbereich eine VIP-Führung durch die Kuratorin erhält. 

Oder wer hat noch nicht den verunglückten Käsekuchen vom Küchenboden gekratzt und kunstvoll in eine neue Form gebracht, wenn zeitgleich die Schwiegermutter mit dem Wagen in die Einfahrt einbiegt. 

Von unvorbereiteten Prüfungen mal ganz zu schweigen, wo der Druck so immens ist, dass man nur durch unablässige Faktendiarrhoe heil aus der Situation kommen kann. Wobei die Fakten zumindest aus dem Bereich des jeweiligen Prüfungsfaches sein sollten, um dann möglichst kenntnisreich scheinend und in rasanter Sprechgeschwindigkeit vorgetragen zu werden. Das täuscht immenses Wissen vor, wo Details komplett fehlen und lässt dem Prüfer schlicht keine Möglichkeit irgendwie Fuß zu fassen. Man vermittelt im besten Fall den Eindruck von enormer fachlicher Kompetenz, ohne sich mit den Niederungen stumpfsinnig auswendig gelernter Einzelheiten abgeben zu wollen. Bei mir hat das einige Male geklappt und ich hoffe in diesem Moment, meine Professoren sind dem Lesen des Kaki auch als Großväter inzwischen entwachsen. 

Ich erlebte mal eine Familienfeier, die zu entgleisen drohte, weil der Caterer sich lediglich die Rechnungsadresse aufgeschrieben hatte und nun vor dem dunklen Haus meiner Eltern stand. Bis die Situation aufgelöst werden konnte, lief mein Vater zur Höchstform auf. Gegen die knurrenden Mägen der Gäste kämpfte er tapfer mit großartig vorgetragenen Anekdoten aus unser aller Leben an. Mit Erfolg, denn selbst das um Stunden verspätete und endlich kalt aufgetragene Essen konnte der guten Stimmung keinen Abbruch mehr tun.

So nun ist es tatsächlich passiert, die Kolumne ist geschrieben. Darüber, dass die Kolumne noch nicht geschrieben ist. Ein Paradoxon, das erstaunlicherweise funktioniert hat. Und nun gehe ich ins Bett oder sollte ich noch schnell die Buchbesprechungen schreiben? Nachtschichten passen ja sehr gut zum Thema, oder? 


Eva

Eva Unterburg

Eva Unterburg schreibt wunderschöne Rezensionen über Kinderbücher und ist langjährige Freundin der Redaktion.

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