Es ist unbestritten, dass Eltern Einfluss auf die Entwicklung ihrer Kinder haben. Doch wie sehr prägen sie damit unsere Persönlichkeit im Erwachsenenalter? Welche Verhaltensweisen von ihnen sind hilfreich, welche nicht? Und wieviel Freiheit haben wir, uns in unseren aktuellen Beziehungen anders zu verhalten als es unsere Erziehung und Sozialisation „nahelegen“?
Die Rolle der Eltern in der Persönlichkeitsentwicklung
Die familienpsychologische Forschung zeigt, dass Eltern vielfältige Einflüsse haben – gewollt oder ungewollt, bewusst oder unbewusst, direkt oder indirekt. Sie vererben uns bis zu einem gewissen Grad Persönlichkeitsmerkmale wie z.B. emotionale Stabilität, Intelligenz, Kreativität und Empathie. Sie bieten je nach Familien- und Arbeitssituation einen unterschiedlichen Rahmen an Erfahrungen in der Familie, im Freundeskreis und im Hinblick auf die finanzielle Sicherheit. Sie können über Erziehung z.B. Ziele, Werte und Regeln des Zusammenlebens vermitteln, das Selbstbild des Kindes beeinflussen oder auch dessen Vorstellungen, wie Männer und Frauen sind.
Bindungsforscher konnten außerdem zeigen, dass Eltern insbesondere bei sehr jungen Kindern einen entscheidenden Anteil daran haben, wie sicher oder unsicher sich das Kind in Bezug auf die Eltern gebunden fühlt. Diese Bindungserfahrungen und -erwartungen des Kindes basieren darauf, wie feinfühlig Eltern auf die Signale ihres Säuglings oder Kleinkindes eingehen und ihm helfen, bei Stress wieder in einen Zustand der Sicherheit zu gelangen. Je nach Art der Bindungserfahrung haben Kinder bessere Entwicklungschancen oder aber ein erhöhtes Risiko für schwierigere Entwicklungsverläufe. Bindungsforscher gehen auch davon aus, dass Beziehungsunsicherheiten in der frühen Kindheit auch einen Rahmen im Erwachsenen-Alter bilden können, welche Bindungs-Erwartungen und -erfahrungen wir im Erwachsenen-Alter haben und wie gut wir mit Stress, eigenen Gefühlen und den Gefühlen unserer Partner*innen und eigenen Kinder umgehen können.
Gestaltungsmöglichkeiten trotz familiärer Prägung
Doch bei all diesen Rahmenbedingungen, die unser Elternhaus uns mitgegeben hat, sind wir nicht festgelegt. Es gibt keinen Automatismus. Analog zu den Farben einer Ampel können wir z.B. schauen, wie wir mit unserem familiären „Erbe“ umgehen möchten: Welche Erfahrungen wollen wir verarbeiten und abgrenzend zurücklassen (rot)? Welche ihrer Verhaltensweisen können wir differenzierter sehen, achtsam abwägen, und akzeptieren (gelb)? Und was können wir von ihnen wertschätzend annehmen (grün)? Und für was wollen wir als Erwachsene in unserem Leben noch mehr Verantwortung übernehmen? Im Hier und Jetzt können wir Wahl- und Gestaltungsmöglichkeiten suchen, im Umgang mit uns selbst und mit unseren Partner*innen und Kindern.
Text: Stephan Rieder