Jeder ärztliche Heileingriff, selbst die Gabe eines Medikaments, stellt einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar und bedarf der Einwilligung des Patienten. Ist der Patient noch minderjährig, so sind an die Einwilligungsfähigkeit hohe Anforderungen zu stellen. Sie hängt von der persönlichen Entwicklung jedes Kindes ab und es lassen sich nur schwer feste Altersgrenzen bestimmen. Nicht erst seit Corona und dem Thema der Schutzimpfungen stellt sich deshalb die Frage, wer kann und darf in eine medizinische Maßnahme einwilligen.
Nach dem Bundesgerichthof kommt es für die Einwilligungsfähigkeit eines Minderjährigen darauf an, ob er „nach seiner geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung zu ermessen vermag“. Neben dem Alter sind somit auch die Schwere und Komplexität des Eingriffs als wichtige Kriterien heranzuziehen. Kann das Kind bereits die Tragweite der konkreten medizinischen Behandlung erfassen und für sich abwägen? Je schwerer und komplexer ein Eingriff ist, bspw. eine Operation im Vergleich zu einer routinemäßigen Blutentnahme, desto weniger kann bei Minderjährigen von einer hinreichenden Einsichts- und Urteilsfähigkeit ausgegangen werden. Eine pauschale Antwort zu der Frage, ob das Kind bereits die notwendige Einwilligungsfähigkeit für eine medizinische Behandlung hat, gibt es nicht. Es sind vielmehr immer die Umstände des Einzelfalls zu beachten.
Wenn jedoch hinreichend deutlich ist, dass das Kind aufgrund des Alters oder der Schwere des Eingriffs noch nicht einwilligungsfähig ist, dann obliegt die Einwilligung dem gesetzlichen Vertreter, in der Regel sind dies die Eltern. Dabei ist zu beachten, dass grundsätzlich bei einem gemeinsamen Sorgerecht beider Eltern auch beide Eltern einwilligen müssen, sofern nicht ausnahmsweise ein Elternteil das alleinige Sorgerecht hat.
Die Entscheidung über die Vornahme einer medizinischen Behandlung oder Impfung bei entwicklungsbedingt noch nicht selbst entscheidungsfähigen Kindern ist ein wesentliches Element der elterlichen Gesundheitssorge. Dabei müssen die Eltern sich in erster Linie am Kindeswohl orientieren und auf die Wünsche und Interessen des Kindes Rücksicht nehmen. Sie sind bei ihrer Entscheidung weniger frei sich gegen Standards medizinischer Vernünftigkeit zu wenden, als sie es kraft ihres Selbstbestimmungsrechts über ihre eigene körperliche Integrität wären.
In der täglichen Praxis werden Kinder jedoch häufig nur von einem Elternteil zum Arzt gebracht. Ob dennoch beide sorgeberechtigten Eltern ihre Einwilligung erteilen müssen, hängt erneut von der Schwere und Tragweite der medizinischen Behandlungsmaßnahme ab. Bei Routinefällen ist davon auszugehen, dass der erschienene Elternteil die Einwilligung auch für den anderen Elternteil abgeben darf und sich die Eltern in diesem Fall gegenseitig vertreten. Davon ist in einer intakten Ehe, bei welcher sich gemeinschaftlich um Fragen, die das Kindeswohl betreffen, gekümmert wird, auszugehen. Nach einer Trennung sieht das aber oftmals anders aus und es kann zu Streit darüber kommen, ob eine medizinische Maßnahme notwendig ist und durchgeführt werden soll. Wer hat die Entscheidungsbefugnis und ist berechtigt über die Belange des Kindes zu entscheiden?
Handelt es sich um Belange des alltäglichen Lebens, also um Routinefälle, kann der Elternteil entscheiden, in dessen Haushalt das Kind lebt.
Anders liegt der Fall, wenn es sich um Belange handelt, die von wesentlicher Bedeutung sind. Dann bedarf es grundsätzlich der Zustimmung des anderen sorgeberechtigten Elternteils. So beispielsweise bei ärztlichen Eingriffen schwerer Art mit nicht unbedeutenden oder erheblichen Risiken. Wird die Zustimmung versagt und bleiben die Bemühungen des Jungendamtes erfolglos, bleibt nur die rechtliche Klärung. Können sich Eltern in einer bestimmten Angelegenheit, z.B. einer Operation oder Impfung, oder einer bestimmten Art von Angelegenheiten, z.B. ganz grundsätzlich der Gesundheitssorge, nicht einigen, so kann eine gerichtliche Entscheidung darüber herbeigeführt werden.
Zu beachten ist, dass pauschale Aussagen zu einem so diffizilen Thema nicht gemacht werden können. Jeder Fall bedarf einer konkreten Abwägung und der ausschlaggebende Punkt bleibt dabei immer das Kindeswohl.
Rechtskolumne von Marie-Therese Benz
Rechtsanwältin | Beinert & Partner, Rechtsanwälte Partnerschafts mbB