Schreibschrift bleibt

Kalligraphie in Finnland

Schreibschrift oder Druckschrift? Grafik: Günter Land

Neulich gab es einen Gesetzentwurf im finnischen Parlament, Schreibschrift an Schulen nicht mehr zu unterrichten und stattdessen die Tastaturkompetenz zu lehren. Jetzt bin ich aber wieder beruhigt! Der Entwurf wurde zurückgezogen. Finnische Schüler lernen auch künftig von Hand zu schreiben; so die jüngste Mitteilung des finnischen Botschafters auf der offiziellen Homepage. Das Schreiben mit Stift und Füller soll entgegen anders lautender Meldungen in den Medien auch weiterhin unterrichtet werden, allerdings nur in Druckbuchstaben. Es gehe darum, Zeit zu sparen, um die IT-Kompetenzen der Kinder zu steigern und den Unterricht im Tastenschreiben zu forcieren.

Wie gesagt, da bin ich beruhigt. Ich hatte mir schon vorgestellt, wie es wohl wäre, wenn die erste schreiblose Generation von IT-hoch-kompetenten Schülern ins Führerscheinalter käme. Wenn sie zum ersten Mal alleine mit dem Auto von „mutteri“  in den Weiten des finnischen Winters unterwegs wären. Zwei Freunde im Wagen, bester Laune, cool und selbstsicher, man hat ja schließlich gerade die Führerscheinprüfung erfolgreich bestanden – auf Tablets selbstverständlich – und dann nimmt ein anderer finnischer Autofahrer überraschend die Vorfahrt auf eisglatter Fahrbahn.

Nun hängen sie im Graben in ziemlicher Schräglage. In letzter Minute kann der nicht mehr ganz so selbstsichere Jungfahrer noch das Nummernschild des flüchtenden Unfallverursachers entziffern. Sein Handy ist leider zu Bruch gegangen und so raunt er seinem Beifahrer aufgeregt zu: „Schnell tipp ein“. Der nestelt in seiner Jackentasche herum, um dann festzustellen „Mist, kein Akku mehr“. Ratlos würden die beiden dann den kleinen Block aus Papier anschauen mit dem angehängten Bleistift, der in „mutteris“ Auto auf der Mittelkonsole liegt. Diese unheilige Vorstellung müssen wir ja dank der offiziellen finnischen Verlautbarung nicht mehr fürchten. Fakultativ, so heißt es weiter in der Meldung, könnten Schulen weiterhin das Schreiben in gebundener Schrift anbieten. Wie sieht das wohl in Zukunft aus?

Unterhalten sich demnächst  finnische Eltern auf dem Spielplatz über die Ausbildung ihrer Kinder so: „Nein, wir gehen da lieber den bewährten Weg, wir wählen die Schreibschrift.“ Ähnlich wie hierzulande, wenn man sich für die humanistische Variante mit Latein und Altgriechisch entscheidet? Die Schreibschriftkinder hätten untereinander einen entscheidenden Vorteil: ihre eigene Geheimschrift! Vorbei die Zeiten von Zitronenwasser, Kasten-Code, Morse-Alphabet und anderen kryptographischen Finessen. Es reicht, in die richtige Schule zu gehen, um eine aussterbende Schrift zu kennen, die nur noch Eingeweihte lesen können. Da tun sich völlig neue Aufgabenfelder auf, ganze Berufszweige entstehen durch die Abschaffung der Schreibschrift: Wer soll in Zukunft noch die Liebesbriefe finnischer Nationaldichter entziffern, wer staatstragende Urkunden aus der Vergangenheit übersetzen, wer Schriften großer Denker und Philosophen lesen? Es werden Spezialisten sein, die sich früh mit dem alten Handwerk der Kalligraphie, Unterkategorie Lateinische Ausgangsschrift beschäftigt haben. Außerdem wird es eine Menge Ärzte geben, die sich mit den Phänomenen des Schnappdaumens, der entzündlichen Veränderung des Mittelhandknochens und der schnellen Regenerationsmöglichkeiten der menschlichen Fingernägel beschäftigen und ihren Facharzt in „IT-Handchirurgie“ machen werden.

Von den Folgen für die Papeterie-Branche ganz zu schweigen. Schwunghefte, Übungsblöcke und Schreibfibeln werden in ihrem Bedarf drastisch zurückgedrängt zugunsten von allerlei Schnickschnack für den modernen Laptop-Liebhaber.
Man muss eben mit der Zeit gehen und darf nicht rückwärtsgewandt dem geschriebenen Schnörkelwort nachtrauern. Hätte ich in meiner Jugend nicht monatelang unzählige Oooo‘s und Gggg‘s in meine zahlreichen Schwunghefte malen müssen, hätte ich viel mehr Zeit gehabt, ordentlich Tastenschreiben zu lernen und müsste nun nicht stundenlang an dieser Kolumne tippen mit nur vier Fingern!


Eva

Eva Unterburg

Eva Unterburg schreibt wunderschöne Rezensionen über Kinderbücher und ist langjährige Freundin der Redaktion.

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