
Ein starkes Körperbewusstsein und das Wissen um eigene Grenzen können Kinder vor jeder Form von Gewalt, auch sexualisierter Gewalt, schützen. Kinder, die ihre eigenen Bedürfnisse kennen und ausdrücken können, lassen sich seltener manipulieren. Außerdem fällt es ihnen leichter, sich anderen anzuvertrauen und unangenehme Situationen zu melden.
Doch wie lernen Kinder, ihre Grenzen wahrzunehmen und zu verteidigen – auch gegenüber Erwachsenen? Eltern kommt dabei eine entscheidende Rolle zu: Sie können ihre Kinder darin bestärken, auf ihr Bauchgefühl zu hören und klar „Nein“ zu sagen, wenn etwas unangenehm ist.
Schon in alltäglichen Situationen können Eltern ihren Kindern ein gesundes Körperbewusstsein vermitteln. Muss der Kuss zur Begrüßung bei Oma wirklich sein, wenn das Kind sich sichtlich unwohl fühlt? Natürlich nicht! Vielleicht ist die Oma zunächst irritiert, wenn das Enkelkind keinen Kuss haben möchte. Doch es geht nicht darum, die Gefühle anderer zu verletzen. Es geht darum, dass Kinder in solchen Situationen spüren, dass ihre Grenzen respektiert werden. Auch beim Spielen oder Kuscheln gilt: Sobald ein „Stopp“ oder „Lass das“ kommt, sollte das sofort ernst genommen werden – unabhängig davon, ob es von einem Kind oder Erwachsenen ausgesprochen wird. So erfährt das Kind, dass sein „Nein“ zählt und respektiert wird. Das stärkt nicht nur das Selbstbewusstsein, sondern auch das Vertrauen darin, dass es auf sein eigenes Gefühl hören und vertrauen darf.
Vorbild sein und vorleben
Kinder lernen durch Nachahmung. Wenn Eltern selbst respektvoll mit den Grenzen anderer umgehen, wird der Nachwuchs sich daran orientieren.
Praxistipps zum Ausprobieren:
- Sagen Sie selbstbewusst „Nein“, wenn Ihnen etwas unangenehm ist, und erklären Sie Ihrem Kind, warum. So lernt es, dass es nicht unhöflich ist, seine eigenen Bedürfnisse zu schützen, und dass auch Erwachsene ihre Grenzen haben und verteidigen dürfen.
- Ein offenes Gespräch über den eigenen Körper stärkt das Selbstbewusstsein Ihres Kindes zusätzlich. Benennen Sie Körperteile klar und ohne Scham, auch die intimen. Dadurch signalisieren Sie, dass der Körper nichts Geheimnisvolles oder gar Beschämendes ist – eine wichtige Grundlage, um über unangenehme Berührungen sprechen zu können. Entsprechende Kinderbücher können ein guter Gesprächseinstieg sein und helfen, falls Eltern zunächst die richtigen Worte fehlen.
- Sätze wie „Dein Körper gehört dir“ oder „Niemand darf dich anfassen, wenn du das nicht willst“ helfen dabei, Grenzen zu verdeutlichen und das Recht auf körperliche Unversehrtheit zu vermitteln.
Gefühle zulassen und benennen
Ein gesundes Körperbewusstsein entwickelt sich auch durch das Erkennen und Benennen von Gefühlen. Wenn Ihr Kind sich unwohl fühlt, bestärken Sie es darin, diese Emotion wahrzunehmen und auszudrücken. Einfach Sätze können dabei helfen: „Es ist okay, wenn du dich gerade unwohl fühlst“. So lernen Kinder, Unsicherheit zuzulassen, ohne dafür bewertet zu werden. Manchen Kindern hilft es auch darüber zu sprechen, wo das Gefühl im Körper sitzt – grummelt es im Bauch, ist einem schwindelig oder kann man vielleicht schwer atmen? Durch diese Gespräche lernen Kinder, den eigenen Gefühlen und dem Körper zu vertrauen – eine wichtige Fähigkeit, um Grenzen zu erkennen und zu schützen. Es ist entscheidend, dass Kinder verstehen, dass es keine „falschen“ Gefühle gibt und dass sie jederzeit das Recht haben, unangenehme Situationen zu verlassen.
„Nein“ üben – auch gegenüber Erwachsenen
Kinder müssen auch lernen, „Nein“ zu sagen – und zwar ohne Angst vor Konsequenzen. Üben Sie dies spielerisch im Alltag: Lassen Sie Ihr Kind bei einem Rollenspiel selbstbewusst „Nein“ sagen und halten sie sich selbst ganz genau daran. Tauschen sie danach die Rollen. Das klappt zum Beispiel beim Toben oder Kitzeln. Auch in echten Alltagssituationen können Sie Ihr Kind unterstützen, indem Sie ihm Wahlmöglichkeiten geben: „Möchtest du deinem Onkel heute die Hand geben, oder lieber nur winken?“ Solche Fragen zeigen, dass es mehrere Optionen gibt und sein Körper ihm allein gehört.
Leider gibt es auch Erwachsene, die die Grenzen von Kindern nicht respektieren. Hier ist es wichtig, dass Sie als Elternteil einschreiten und Ihr Kind schützen – deutlich und ohne Entschuldigungen. Sagen Sie beispielsweise klar: „Mein Kind möchte das nicht, und das respektieren wir.“ So erfährt Ihr Kind, dass seine Gefühle ernst genommen werden und Sie es in seinen Entscheidungen unterstützen. Das stärkt das Vertrauen und vermittelt Sicherheit.
Ein gesundes Körperbewusstsein und das Wissen um eigene Grenzen geben Kindern Sicherheit und Selbstvertrauen. Sie lernen, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen und sich klar zu positionieren – wichtige Fähigkeiten, um sich vor Übergriffen zu schützen. Doch all das braucht Zeit und Geduld. Mit jedem „Nein“, das Sie akzeptieren, stärken Sie die innere Stimme Ihres Kindes – eine Stimme, die es sein Leben lang begleiten und schützen wird.
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Fachstelle PriJuS – Prävention in Jugendarbeit und Sport
Die Fachstelle PriJuS wendet sich an Alle, die in
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