Wer hätte das gedacht, dass das Thema „Kinderlärm“ noch heute die deutschen Gerichte beschäftigt. Dies obwohl der Gesetzgeber sogar im Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) feststellt, dass „Geräusche spielender Kinder Ausdruck der kindlichen Entwicklung und Entfaltung und daher grundsätzlich zumutbar sind“. Deshalb – man achte auf die Einschränkung – sollen die Geräuschentwicklungen der Kleinen „im Regelfall“ keine schädliche Umwelteinwirkungen sein.
Die Gerichte müssen sich heute nicht nur mit den Folgen fehlender Kita-Plätze in öffentlichen Einrichtungen befassen. Immer mehr Tagesmütter kümmern sich um den Nachwuchs in ihren Wohnungen. Dazu entschied das Amtsgericht Bonn, dass eine Kindertagespflege mit zwei bis drei Pflegekindern nicht zu übermäßigen Beeinträchtigungen der Mitbewohner führen könne. Das Gericht vergleicht die Situation mit einer Familie mit mehreren kleinen Kindern in der Nachbarwohnung, was heute (noch) nichts Ungewöhnliches sei.
Demgegenüber sieht das Landgericht Köln die Grenzen des guten Zusammenlebens überschritten, wenn eine Tagesmutter fünf Kinder in ihrer Wohnung betreut, weil „durch die Kinderbetreuung im Hause Unruhe gestiftet werde, die bei einer Wohnnutzung durch eine Familie nicht in diesem Maße auftrete:“
Dass damit auch eine stärkere Verschmutzung des Treppenhauses und Publikumsverkehr zu ungewöhnlichen Zeiten auftreten könne, „läge auf der Hand“, heben die Landrichter besonders hervor.
Verlassen wir das Haus und betrachten wir die nähere Umgebung, die den älteren Kindern auf Bolz- und Spielplätzen Raum für das Einüben von Sozialverhalten geben soll, verdient es Aufmerksamkeit, wenn das Amtsgericht Frankfurt auf die Selbstverständlichkeit hinweisen muss, dass „je mehr Kinder sich dort aufhalten, desto höher die Geräuschkulisse sei, weil dies in der Natur der Sache liege“. Eine kinderfreundliche Umgebung, sei aus gesellschaftspolitischen Gründen dringend nötig, fordern die Frankfurter Richter. Die Gesellschaft müsse solche Erscheinungen als sozialadäquat hinnehmen. Das Amtsgericht Hamburg hat in einem vergleichbaren Fall Kinderlärm einmal prosaisch als „die Musik der Zukunft“ bezeichnet. Allerdings müssten die Eltern gleichwohl die unzureichende Fähigkeit der Kinder verantwortungsbewusst zu handeln, stets im Bewusstsein haben. Nötigenfalls sei der Bewegungsdrang und die Lärmentwicklung zu zügeln.
Diese Ansicht teilt das Amtgericht Berlin-Spandau wohl nicht ganz, wenn es darauf hinweist, dass der von spielenden Kindern erzeugte Lärm eine notwendige Begleiterscheinung kindlichen Verhaltens sei, die nicht generell unterdrückt oder auch nur beschränkt werden könne.
In gütiger Weise fügt das Landgericht Heidelberg im Streit um die Nutzung der Freiflächen einer Wohnanlage hinzu, dass beim Kinderspiel regelmäßig Lärm entstehe.
Bei diesen unterschiedlichen Urteilen der Instanzengerichte nimmt es nicht Wunder, dass sich auch noch in jüngster Zeit das höchste deutsche Zivilgericht, der Bundesgerichtshof (BGH), zu den Rücksichtnahmepflichten bei Kinderlärm äußern musste. Der BGH hat dazu festgestellt, dass Geräuschimmissionen, die ihren Ursprung in einem altersgerechten kindlichen Verhalten haben, grundsätzlich hinzunehmen seien. Aber Achtung! Die geforderte Toleranz habe ihre Grenzen, mahnen die fünf Richter des VIII Zivilsenats, denn sie fordern die Eltern dazu auf durch „objektiv gebotene erzieherische Einwirkungen Kinder zu einem rücksichtsvollen Verhalten anzuhalten“.
Wie Sie, liebe Leserinnen und Leser, die Auffassung des Landgerichts Berlin einordnen wollen, dass von Mietern in der Nachbarschaft von öffentlich geförderten, preiswerten und familientauglichen Wohnungen ein höheres Maß an „Geräuschtoleranz“ gegenüber Kinderlärm gefordert werden könne, als von Nachbarn in teuren Altbauwohnungen, Luxusappartements oder als „seniorengerecht“ angebotener Wohnungen, möchte ich Ihnen überlassen. In diesem Sinne, nehmen Sie Ihre Kinder an eine gute Hand!
RA Wolf-Ingo Grewe
Kuentzle Rechtsanwälte
76227 Karlsruhe-Durlach
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