Wann sind wir da ??!

Wann sind wir da - Glosse von Susanne Keller Foto © Verlag Karl Goerner

Traditionell erfuhr die große Vorfreude auf den lang ersehnten Sommerurlaub oder sonstige Familienausflüge eine jähe, wenn auch vorübergehende Auszeit. Der Stimmungswechsel war für gewöhnlich darauf zurückzuführen, dass mein steuernder Gatte meinen navigierenden und kartografischen Fähigkeiten grundlegend misstraute. Zugegeben – die ersten etwa 25 Jahre meines Daseins fristete ich in völliger Orientierungslosigkeit und für das Lesen, Deuten und Verstehen kartografischer Darstellungen fehlten mir schon während meiner Schulzeit sowohl die nötige Begeisterung als auch die innere Bereitschaft. Zudem trug eine stark ausgeprägte Links-rechts-Schwäche als Relikt aus meiner Grundschulzeit* wiederholt zur allgemeinen Belustigung und nicht selten zu einer totalen Verwirrung meiner Mitmenschen bei.

Entstehungsgeschichtlich hatte das Misstrauen meines Mannes also durch­aus seine Berechtigung. Dass ich mich mit eiserner Disziplin zu einer durchaus fähigen Routenplanerin entwickelt hatte, war meinem Göttergatten aber scheinbar vollkommen entgangen.

„Wann sind wir nun endlich da?“, ertönte es zum wiederholten Male erstaunlich einvernehmlich aus der hinteren Reihe, als sich eine für zwei Stunden angesetzte Anreise zu einem vereinbarten Treffpunkt mit Freunden im schönen Sauerland zu einer endlosen Reise ins Ungewisse zu entpuppen schien. Ankommen würden wir – jedenfalls vorläufig – nicht; ich legte meinen mentalen Schwerpunkt zu diesem Zeitpunkt bereits eher aufs Durchkommen, was ich meinem quengelnden Nachwuchs selbst­redend nicht unterbreitete. Tatsächlich befanden wir uns in der tiefsten sauerländischen Pampa, weit entfernt von jeglicher Zivilisation auf einer schmalen, sich schlängelnden und scheinbar längst in Vergessenheit geratenen Straße, während zu allem Überfluss ganz allmählich die Dunkelheit über uns hereinbrach. Dabei hätte die pralle sauerländische Natur unter anderen Voraussetzungen durchaus ihren Reiz haben können.

In Erinnerung an die „Abenteuer der Familie Robinson in der Wildnis“ hielt ich zwischenzeitlich beinahe erwartungsvoll Ausschau nach dem zahmen und treuen Grizzly Samson und dem betagten Rentner und Gelegenheits-Fallensteller Boomer auf seinem dickschädeligen Esel. „Wie lange denn nun noch?“, wurde ich unsanft aus meinen Kindheitserinnerungen gerissen. „Wir haben Hunger!“ Ich gab die Frage in Anpassung an mein sauerländisches Umfeld in säuerlichem Ton an meinen Gatten weiter, der letztlich durch wiederholtes Ignorieren meiner Anweisungen für unsere missliche Lage verantwortlich zeichnete.

Nachdem dieser weit entfernt von meiner perfekt ausgearbeiteten Route dem Ziel scheinbar gekonnt auszuweichen versuchte, war er zu guter Letzt spontan seinem Bauchgefühl gefolgt und hatte die mei­ner­seits entschieden abgelehnte Abfahrt ins Nirgendwo gewählt.

An die Rückkehr in die Zivilisation erinnere ich mich nicht mehr im Detail. Wohl aber an das bei unserer Ankunft bereits aufgelöste Büfett sowie an den sich dem Ende zuneigenden Spieleabend, an das hektische Beziehen unserer Betten mitten in der Nacht und selbstverständlich an die negativen Schwingungen, die meinen Mann und mich für den Rest des Wochenendes unheilvoll umgaben.

Die Lösung für unsere Probleme schien denkbar einfach: Ein Navigationsgerät musste her und zwar schnell. Während mein Mann und ich dem technischen Fortschritt nur widerstrebend und argwöhnisch Folge leisteten, zeigte sich meine Mutter in dieser Hinsicht ausgesprochen interessiert. In jungen Jahren kaum in der Lage, den eigenen CD-Player zu bedienen, den sie regelmäßig mit einem halben Dutzend CDs vollstopfte, obwohl dieser eben nicht über einen automatischen Wechsler verfügte, vererbte sie mir mittlerweile ihre abgelegten Handys. Natürlich verfügte sie seit geraumer Zeit über ein Navigationsgerät, von dem sie sich gerne dann und wann – ihrem jeweiligen Zeitfenster entsprechend – auf kürzester, schönster oder schnellster Route zum nächstgelegenen Supermarkt navigieren ließ. Bereitwillig stellte meine Mutter uns das gute Stück zur Verfügung und meine anfängliche Skepsis wich einer grenzenlosen Begeisterung. Freudig übernahmen unsere Kinder die Bedienung des Gerätes und richteten ihr Augenmerk im Besonderen auf die Geschwindigkeitskontrolle. In harmonischer Übereinstimmung mit unserem Navi-Kumpel unterrichteten sie uns so­gleich über kaum messbare Geschwindigkeitsübertretungen.

Was für eine unbeschreibliche Leichtigkeit des Reisens. Allein meinem Mann fällt es bis heute schwer, sich den freundlichen Empfehlungen unseres kom­petenten und völlig wert- und aggressionsfrei agierenden Navi-Freundes unterzuordnen. Ständig fängt er Streit an mit unserem ortskundigen Experten. Dieser lässt sich aber keineswegs aus der Ruhe bringen, sondern wiederholt gelassen und vollkommen emotionslos seine gut gemeinten Empfehlungen. Und genau hier liegt das Geheimnis unseres Erfolges. Die Ausdauer, mit der unser Reisebegleiter andauernd und stereotyp seine Anweisungen wiederholt, scheint meinen Gatten derart aus der Fassung zu bringen, dass sein Kampfgeist recht schnell erlischt.

So gesehen haben wir unser Ziel erreicht!

* Zu meiner Ehrenrettung sei diesbezüglich hinzugefügt, dass ich meine Grundschulzeit noch als geächtete Linkshänderin unter dem totalitären Regime anmaßender, überzeugter und gänzlich intoleranter Rechtshänder fristen musste. Die gesamte Lehrerschaft ließ nichts unversucht, mir meine „unnatürliche Linkshändigkeit“ auszutreiben. Nachdem das Lehrpersonal seine Schlacht dennoch verloren geben musste, berief man wider Erwarten keinen Exorzisten auf den Plan, sondern strafte mich stattdessen für den Rest meiner Grundschulzeit mit der Bewertung „ausreichend“ in der Kategorie „Handschrift“. Zurück blieb meine Unfähigkeit einer spontanen Rechts-links-Zuordnung.


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