Vorurteile im Hirn

Kolumne von Eva Unterburg

Vorurteile Grafik: Günter Land

Neulich hat mir eine Freundin folgende Begebenheit erzählt: Sie saß im Bus, einem von der Sorte Bimmelbus, der aus dem Dorf in die mittelgroße Stadt fährt und in dem einen eine Frau mit Huhn auf dem Schoß nicht verwundern würde. Der Bus fuhr nach Mainz und statt Frau mit Huhn stand am hinteren Ausgang ein Jugendlicher, cool gekleidet mit einer weiten Jacke und mit Basecap. Er war sichtlich nervös und hatte laut meiner Freundin ein orientalisches Aussehen, will heißen: schwarze Haare, gebräunte Haut, vielleicht aus dem Nahen Osten kommend. Und er war aufgeregt, atmete mehrmals tief ein und aus und wischte sich die Hände immer wieder nervös an seiner Hose ab. Na was denken Sie gerade? Meiner Freundin ging es ebenso und als der junge Mann mit lauter, leicht sich überschlagender Stimme quer durch den Bus rief „Mainz, ich habe eine Botschaft an dich“, war sie sicher: Das war’s nun mit meinem jugendlichen Leben.

Doch statt des vor ihrem geistigen Auge sich abspielenden Selbstmordattentats hörte sie laut und deutlich folgende Worte: „Jesus liebt dich!“.  Es folgten noch allerlei weitere christlich motivierte Missionsbotschaften, die sie allerdings ob des ausgeschütteten Adrenalins nicht mehr akkurat in ihrer Erzählung wiedergeben konnte. Wie schön, wenn man Vorurteile so wunderbar über Bord werfen darf!

Ich lernte einmal im Museum ein Paar kennen, dessen Kinder Kevin und Justin hießen. Mit ihrem fülligen Erscheinungsbild hätte ich die Familie freizeitmäßig eher im Kino mit anschließendem Fastfood-Restaurant-Besuch verortet, als in einer archäologischen Sonderausstellung. Doch siehe da, ich erlebte selten eine so gebildete und liebevolle Familieneinheit wie diese vier. Innerlich leistete ich heftig Abbitte für mein Schubladendenken.

Wir sind doch alle täglich unterwegs mit diesem herrlich vereinfachten Weltbild: Bodybuilder sind alle irgendwie tumb, Frauen mit hohen Schuhen sind etwas halbseiden, Arbeitslose suchen nur nicht richtig, Teeniemütter schaffen das nie, Reiche haben Dreck am Stecken, Beamte spielen Mikado, die Jugend von heute…, Dicke sind gemütlich, Lehrer haben ständig frei, in Dreadlocks wohnen Läuse, Zoo-Eisbären schwitzen im Sommer, früher war alles besser, vor allem die Musik, Tyrannenkinder sind nur schlecht erzogen, vegan ist total gesund, die Russen sind böse, die Amerikaner gut, (deshalb laufen im Fernsehen auch fortwährend amerikanische Serien und nie russische Filme), und überhaupt sind wir Deutschen die, die alles richtig machen. Beim Umweltschutz, in der Verwaltung, der Bildung und vor allem der Kindererziehung.

Sie sehen, es gibt noch viele Perspektiven zu wechseln, bis wir alle dahin kommen, wo meine Freundin neulich kurz war: Zur Einsicht, dass ein muslimisch aussehender Jugendlicher begeistert seine überraschende Botschaft einer noch überraschteren Zuhörerschaft verkünden kann, dass Jesus uns alle liebt!


Eva

Eva Unterburg

Eva Unterburg schreibt wunderschöne Rezensionen über Kinderbücher und ist langjährige Freundin der Redaktion.

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