Vom Weggehen und Ankommen… berichten die folgenden Bücher. Sie erzählen von kleinen Kindern und ihren ersten Versuchen Fuß zu fassen im neuen Zuhause. Sie erzählen von Flucht und Vertreibung vor vielen Jahren und dem Leben in fernen Ländern. Und sie machen klar, dass niemand ohne Grund seine Heimat und Familie verlässt, um sich auf den gefährlichen Weg zu machen in ein fernes Land und in eine ungewisse Zukunft.
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Der geheime Himmel
Fatima und Samiullah sind beste Freunde seit Kindertagen. Doch was früher im gemeinsamen Spiel in der dörflichen Umgebung unkompliziert war, ist jetzt, da Sami unverhofft aus der fernen Großstadt Kabul zurückkehrt, nicht mehr geduldet. Ein heimliches Treffen der einstigen Freunde könnte beider Tod bedeuten, denn sie gehören unterschiedlichen Volks- und Religionsgruppen an.
Als sie sich dennoch gegen die Dorfregeln stellen und alleine im Wald treffen, ahnen sie beide noch nicht, wer sie beobachtet und welche Lawine damit in Gang gesetzt wird. Samis Cousin ist es, der den vermeintlichen Ehrverlust der Familie öffentlich macht und ihn den falschen Freunden weitergibt. Er hatte die gleiche Kabuler Koranschule wie Sami besucht und war anders als sein sensibler Cousin begeistert von der eindimensionalen Auslegung der Heiligen Schriften. Radikalisiert kehrt er in das Heimatdorf zurück und schließt sich selbst ernannten Religionswächtern an, die beim genaueren Hinsehen einzig den eigenen Machtzuwachs im Sinn haben. Als er seinen Fehler erkennt, ist es beinahe zu spät.
Dieser einfühlsame und zugleich spannende Roman gibt erhellende Einblicke in die Gesellschaftsstruktur eines Landes, das seit vielen Jahrzehnten nicht zur Ruhe kommt. Atia Abawi ist als Kind afghanischer Eltern in Deutschland geboren und in den USA aufgewachsen. Für das amerikanische Fernsehen berichtete sie fünf Jahre aus Kabul und im vorliegenden Roman sind Erfahrungen aus dieser Zeit verarbeitet. Sehr lesenswert!
Atia Abawi: Der geheime Himmel. Eine Geschichte aus Afghanistan. Roman. 340 Seiten, broschiert, 13×21 cm, dtv 2015, ISBN: 978-3-423-74014-2, € 14,95, ab 14 Jahren
Am Tag, als Saída zu uns kam
Es ist Winter, als Saída ankommt. Sie kommt mit ihrem Koffer und ohne ein Wort. Das Mädchen, das ihre Freundin werden will, beginnt zu suchen. Überall forscht sie nach Saídas Wörtern, sie sucht unter Tischen und zwischen Buntstiften, in Manteltaschen und Heften. Erst als sie versteht, dass Saída ihre Sprache nicht verloren hat, sondern mit ihren Wörtern in diesem fremden Land nichts anfangen kann, beginnen die Mädchen mit dem Tauschen: fremde Wörter gegen eigene, neue Laute gegen vertraute, Schriftzeichen, die wie Blumen aussehen, gegen Buchstaben aus Balken und Kreisen.
Über diesem Hin und Her vergeht der Winter und als die Mandelbäume blühen, sind sie Freundinnen, jede reicher durch die Welt der anderen. Dieses Bilderbuch erzählt poetisch und mit Bildern wie aus einer Traumwelt von der Begegnung zweier Kinder aus verschiedenen Kulturen, die forschend und spielend Fremdes zu Eigenem machen.
Eine fantasievolle Hommage an die Macht der Freundschaft und der Sprache!
Susana Gómez Redondo, Sonja Wimmer (Illustr.): Am Tag, als Saída zu uns kam. 32 Seiten, gebunden, 23,5×25,5 cm, Peter Hammer 2016, ISBN: 978-3-7795-0540-2, € 15,90, ab 5 Jahren
33 Bogen und ein Teehaus
Die Autorin Mehrnousch Zeari-Esfahani widmet dieses sehr empfehlenswerte Buch ihren mutigen Eltern. Mutig mussten diese Eltern tatsächlich sein, um aus einer vermeintlich sicheren Existenz als Chirurg und einer der schönsten Wohngegenden der persischen Stadt Isfahan zu fliehen mit drei Kindern an der Hand. Dabei waren sich die Eltern sicher gewesen, dass nach dem Sturz des Shahs und der Rückkehr des religiösen Führers Chomeini das Leben gerechter werden würde in Iran der 70er Jahre. Statt dessen erlebt die Familie, wie sich das Land unter den fundamentalistischen Sittenwächtern in kürzester Zeit zu einem Willkürstaat entwickelt, der den Menschen jegliche Freiheiten nimmt und sogar Kinder bewusst in den Tod schickt, um feindliche Landminen aufzuspüren.
Und so beginnt die Reise in die Türkei und weiter über Ostberlin durch verschiedene westdeutsche Flüchtlingsheime, bis nach Heidelberg, wo nach den ersten Nöten der Sprachlosigkeit bald die Freude des Ankommens überwiegt. Die Autorin erzählt ihre Kindheit aus der Sicht des Teenagers von damals.
Die einprägsamen Illustrationen ihres Bruders runden die Zeitreise behutsam ab.
Mehrnousch Zeari-Esfahani, Mehrdad Zeari-Esfahani (Illustr.): 33 Bogen und ein Teehaus. 148 Seiten, gebunden, 13,5×21 cm, Peter Hammer 2016, ISBN: 978-3-7795-0522-8, € 14,90, ab 12 Jahren
Fluchtpunkt Europa
„Wenn wir heute über Flüchtlingspolitik reden, geht es nicht um ein Randgruppenthema, das populistisch für die Stammtische verhandelt werden kann. Flüchtlingspolitik ist auf mehreren Ebenen eine große Herausforderung für Politik und Zivilgesellschaft – auf Jahre hinaus. Und eine Chance.“ So heißt es auf dem Klappentext dieses empfehlenswerten Sachbuches.
Der Autor und Regisseur Michael Richter hat sich jahrelang mit den Fluchtursachen beschäftigt, preisgekrönte Dokumentarfilme zum Thema gedreht und mit den Menschen in Syrien, Afghanistan, Somalia und Mali gesprochen. Er erzählt von den lebensgefährlichen Fluchtrouten auf überfüllten Booten oder in verschlossenen LKW-Verstecken.
Der Leser erfährt aus erster Hand von Menschen, die unter schwierigsten Bedingungen in Flüchtlingscamps in libanesischen und türkischen Lagern ausharren, um irgendwann dorthin aufbrechen zu können, wo sie sich ein neues Leben erhoffen. Richter zeigt Wege auf, um diesen globalen Fluchtbewegungen konstruktiv zu begegnen, fordert eine neue Einwanderungsgesetzgebung, um bessere Voraussetzungen für Arbeitsmigration zu bieten. Ebenso eine faire Handelspolitik und die Unterstützung demokratischer Entwicklungen vor Ort, aber vor allem appelliert er an die humanitäre Verantwortung.
Ein sehr erhellendes Buch!
Michael Richter: Fluchtpunkt Europa. Unsere humanitäre Verantwortung. 248 Seiten, broschiert, 13×20 cm, Edition Körberstiftung 2015, ISBN. 978-3-89684-172-8, € 16,00, für Erwachsene
Der Treck
Vor achtzig Jahren begann der spanische Bürgerkrieg, an dessen Ende fast eine halbe Million Menschen in langen Trecks über die Pyrenäen nach Frankreich flohen. Dort wurden sie in Lagern interniert. Diese empfehlenswerte Graphic Novel beruht auf dem Schicksal einer der Familien.
Frankreich 1975: Angelita steht unter Schock. Ihre Mutter ist in ein Krankenhaus eingeliefert worden – in Barcelona! Was hat sie, die doch geschworen hatte, zu Francos Lebzeiten nie wieder einen Fuß auf spanischen Boden zu setzen, dort zu tun gehabt? Während der Fahrt zu ihrer Mutter erinnert sich Angelita an die Flucht nach dem Sieg der Faschisten, an das Leben ohne Vater. Doch was Angelita nun in Barcelona über den vermeintlichen Tod ihres Vaters erfährt, hebt ihr Leben aus den Fugen.
Diese Graphic Novel ist ein absolutes Gesamtkunstwerk und zeigt in ihren eindrücklichen Zeichnungen, dass Flucht und Vertreibung immer die gleichen Spuren hinterlässt, egal ob vor rund 80 Jahren oder heute.
Eduard Torrents und Denis Lapière: Der Treck. 136 Seiten, gebunden, 22×29,5 cm, Jacoby und Stuart 2016, ISBN: 978-3-941787- 94-0, € 24, ab 16 Jahren
Ein neues Zuhause für die Kellergeigers
Die Kellergeigers sind mit sich zufrieden, sie haben liebe Kinder, machen gerne Musik und leben von So-gut-wie-gar-Nichts. Doch da, wo sie leben, mag man sie nicht besonders. Sie hätten zu viele Kinder oder gar keine, eine zu runde oder zu spitze Nase, seien zu braun, zu schwarz oder zu weiß….
Wenn das kein Grund ist auszuwandern? Wohin, ist ihnen eigentlich egal, Hauptsache dorthin, wo man sie lieber mag. Dummerweise steht ihrer Auswanderung ein hoher, endlos langer Grenzzaun im Weg, aber mit viel Witz und ihrer Musik schaffen es die Kellergeister in das Nachbarland.
Aber ist es dort schöner? Dort stellen die Violindecave ihnen komische Fragen, um sie dann gnädigst auszuweisen. Immerhin mit etwas Übergangsgeld und der Aussicht auf einen Bürgersteig bei den Violinocantinas. Die Stimmung wird nach und nach immer schlechter, zumal der älteste Sohn unterwegs verloren gegangen ist. Gerade, als die Kellergeiger-Eltern aller Mut verlässt, wendet sich das Glück zum Guten….
Verblüffend, mit welcher zärtlichen Melancholie Grumberg über Vorurteile und Fluchterlebnisse ein modernes Märchen schreibt und wie passend Badel dazu Bilder erfindet!
Jean-Claude Grumberg, Ronan Badel (Illustr.): Ein neues Zuhause für die Kellergeigers. 85 Seiten, gebunden, 14,5×21,5 cm, Jacoby und Stuart 2016, ISBN: 978-3-941787-22-3, € 12,95, ab 10 Jahren und für die ganze Familie
Bestimmt wird alles gut
Kindern behutsam von Flüchtlingsleid berichten, geht das? Kirsten Boie ist es in diesem Hörbuch gelungen, die Geschichte der zehnjährigen Rahaf und ihrer Geschwister zu erzählen, die aus ihrer syrischen Heimatstadt Homs aufbricht in eine ungewisse Zukunft. Und zwar in einer Weise, die mitfühlen, aber nicht vor Schreck erstarren lässt.
So beschreibt sie, dass manche Menschen nach einem Bombenangriff nicht mehr aufstanden und überlässt es damit den jungen Zuhörern, daraus Schlüsse zu ziehen. Rahafs Familie muss sich Schleppern anvertrauen, um zu fliehen. Auch hier findet Boie Worte, die kindgerecht erklären, warum man ohne Visa nicht in ein Flugzeug steigen kann und nur vor Ort um Asyl bitten darf.
Immer wird das Erlebte aus der Sicht der Kinder wiedergegeben. Dies zeigt letztlich auch, dass es die Kinder sind, die sich am schnellsten in eine neue Situation einfinden. So bleibt am Ende dieses authentischen Hörbuchs das Gefühl, dass tatsächlich alles gut werden kann.
Kirsten Boie: Bestimmt wird alles gut. Audio CD gesprochen von der Autorin. Mit Stimmen syrischer Kinder und einem Gespräch mit der Autorin. Spieldauer: 48 Min. Jumbo 2016, ISBN: 978-3-8337-3586-8, € 9,99, ab 7 Jahren
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„Stiftung Lesen“ unterstützt Projekt in Mühlburg – Lesen macht schlau. Aber nur, wer mit Freude liest und keinen Leistungsdruck hat, bleibt dabei. Das ist das Prinzip hinter den bundesweit 250 Leseclubs, die von der „Stiftung Lesen“ aufgelegten Programms „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“ bis 2017 gefördert werden. Auch Mühlburg hat jetzt einen solchen Leseclub. 25 Mädchen und Jungen der Draisschule besuchen das Kooperationsprojekt. Sie werden von Ehrenamtlichen betreut, lesen, spielen und nutzen vielerlei kreative Medien.
Weitere Buch- und Spieletipps finden Sie unter dem „Schlagwort“: Lesen-Lauschen-Spielen im Karlsruher Kind
