Umweltschutz aus Sicht der Familie

Für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit Sitz in Straßburg ist Umweltschutz in einigen Fällen gleichbedeutend mit Schutz der Familie. Auf den ersten Blick hat das nicht viel miteinander zu tun. Die Erklärung: Beim Gerichtshof sind immer wieder Beschwerden gegen Vertragsstaaten eingegangen, bei denen es um krasse Umweltverschmutzungen ging.
In einem Fall in Spanien wurde direkt neben einem Wohnhaus eine Anlage zur Beseitigung von Abfallstoffen aus Gerbereien in Betrieb genommen. Deren Abgase verursachten bei der Bevölkerung gravierende Gesundheitsschäden und zwangen zum Umsiedeln.

So weit, so gut. Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) kennt aber keine speziellen umweltrechtlichen Vorschriften, schließlich gab es 1950 noch kein Umweltrecht im heutigen Sinne. Die Richter behalfen sich mit einem Trick: Die EMRK gewährt in Art.8 das für jeden einklagbare „Menschenrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens“. Dieses Menschenrecht sei verletzt, wenn jemand wegen Umweltschädigungen seine Heimat verlassen muss. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) schlug einen ähnlichen Weg ein, denn auch unserer Verfassung ist ein individuelles Grundrecht auf Umweltschutz fremd. Man griff auf Grundrechte wie das Recht auf Achtung der Menschenwürde oder die allgemeine Handlungsfreiheit zurück. Zwar ist seit 1994 der Umweltschutz als „Staatsziel“ im Grundgesetz verankert (Art. 20a GG). Der Umweltschutz wurde dadurch „auch in Verantwortung für künftige Generationen“ zu einem Gebot mit Verfassungsrang. Das ist aber nur eine Art Selbstbindung der staatlichen Organe. Der Einzelne kann nämlich weder die Befolgung des Gebots einklagen noch Schadenersatz wegen Nichtbefolgung einfordern.

Das BVerfG entwickelte in den letzten Jahrzehnten eine Reihe von Schutzpflichten des Staates. Eine Verletzung kann aber nur festgestellt werden, wenn der Staat entweder gar keine oder völlig unzureichende Schutzvorkehrungen getroffen hat. Der Gesetzgeber sei verpflichtet, Risiken laufend zu sichten und neu zu bewerten. Stichwort „Restrisiko“ beim Betrieb von Atomkraftwerken. Die diesbezügliche Beurteilung aus Sicht der Bunderegierung änderte sich nach der Fukushima-Katastrophe schlagartig.

Seit 1970 gab es immer wieder Anläufe im Europarat, dem Parlament der EMRK, ein weitergehendes „Menschenrecht auf eine intakte Umwelt“ anzuerkennen. Den jüngsten Vorstoß in 2002/2003 habe ich als fachlicher Berater bzw. Gutachter begleitet. Die Natur bzw. die Umweltgüter gehören der gesamten Menschheit. Aber geht das überhaupt, ein Recht des Einzelnen auf Schutz eines Gemeinguts? Ja, in bestimmten Teilbereichen. Das wäre auch höchste Zeit – immerhin werden wir der Verantwortung für künftige Generationen derzeit nicht gerecht. Besonders Interessierte können auf der Seite assembly. coe.int das Arbeitsdokument Nr. 9791 vom 16.4.2003 abrufen (Englisch/Französisch). 2004 kippte das Ministerkomitee das Projekt. Das Scheitern hatte aber haushaltspolitische Gründe, denn die Vertragsstaaten wären gezwungen gewesen, den schon seit Langem überlasteten EGMR mit neuen Richtern und Mitarbeitern aufstocken.


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