Überflüssige Wohnverhältnisse?

Informationen aus „erster Hand“ von KiddyCoach Gerhard Spitzer zum Thema Überfluss

Der bekannte Wiener Verhaltenspädagoge und Erfolgs­autor Gerhard Spitzer, Gründer des Vereins KiddyCoach und Autor von „Entspannt Erziehen“ ist bekannt durch seine humorvollen Vorträge zum Thema.

Vollgestopft

Ich muss Ihnen unbedingt die Geschichte erzählen, die ich im Kinderzimmer des achtjährigen Tommy erlebt habe. Der kleine Mann hat so viel Spielzeug darin gehabt, dass sein ohnehin schon gigantisch dimensioniertes Zimmer buchstäblich bis unter die Decke mit Schachteln voller Kinderkram voll gestopft war. An allen vier Wänden! Kaum zu glauben: Da war kein freies Plätzchen mehr! Und das bei einem so kleinen Jungen!

Spontan habe ich damals gedacht. Was macht der Steppke, wenn der noch ein paar Lebensjahre zulegt? Müssen dann die Eltern ihr kuscheliges Wohnzimmer evakuieren, damit sich Juniors Spiele-Fundus dem aktuellen globalen „Wachstum“ angleichen kann? Die viel wichtigere Frage für mich aber war damals diese: „Will er kleine Bursche diesen Überfluss eigentlich von Herzen?“

Die Antwort auf diese brennende Frage, die sich übrigens möglichst viele Eltern stellen sollten, hat mich dann so stark bewegt, dass sie sich nun den Platz im KARLSRUHER KIND einfach redlich verdient hat. Bevor ich aber Tommys erstaunliche Anmerkung zu seinem eigenen Spielsachen-Überfluss offen lege, noch eine familiäre Info…

Reiche Heimkehr

Tommys Vater, Marcus, ein erfolgreicher Manager, ist sehr häufig auf längeren Dienstreisen unterwegs. Offenbar um seinen Sohnemann bei angemessener Laune zu halten, ist es seine Angewohnheit gewesen, bei seiner Heimkehr für sein Söhnchen ein, meistens nicht gerade billiges, Spielzeug mitzubringen. Ein Verhalten übrigens, das bemerkenswert viele Elternteile an den Tag legen, die selten zu Hause sind.

Damit sind wir schon bei der Auflösung: Als der kleine, pfiffige Tommy eine „geheime Vereinbarung“ mit mir ganz toll eingehalten hat, mache ich ihm ein Angebot: „Kann ich jetzt dir einen Wunsch erfüllen? Zum Beispiel könnte ich ja irgendetwas für dich bei deinen Eltern durchsetzen!“

Ein eindringlicher, fast trauriger Blick aus den großen Augen und dann jene zögerliche Antwort, die mich dann doch tief erschüttert hat: „Ja! Kannst du bitte meinem Papa sagen, er soll mir nicht dauernd Spielsachen von seinen Reisen mitbringen?“ Ich erinnere: Acht Jahre alt, der Bub! Noch Fragen, liebe, treue Leser meiner Kolumne?

Klare Worte?

Für Papa Marcus habe ich damals die entscheidende Frage wiederholt: „Haben Sie sich je gefragt, ob Ihr Tommy diesen unheimlichen Spielerei-Luxus bloß still akzeptiert, weil er spürt, dass Ihnen das wichtig ist?“ Marcus, einen Moment lang sprachlos, hat sich damals wahrscheinlich gefragt, warum sein Sprössling dann nichts gesagt hat…

Tja! Leider passiert es ganz allgemein nur sehr selten, dass Kinder sogar ganz tief empfundene Überlastungs-Situationen überhaupt in klare Worte verpacken können. Schon gar nicht so junge Kids. Die Missstimmung über ein Zuviel im eigenen Lebensumfeld ist dann zwar da, aber sie drückt sich auf ganz andere Weise aus: Schlimm sein, zornig werden, aufsässig sein, usw. Darum haben Leute wie mein Team und ich überhaupt einen Job!

Ich bin Tommy jedenfalls für seinen bemerkenswerten Hinweis seit damals überaus dankbar! Bei manch einem Hausbesuch schaue ich seither viel genauer hin, ob ein Kind eventuell unter einem ich-habe-zuviel-Zeugs-Trauma zu leiden hat. Das soll es ja sogar bei Erwachsenen geben! Klar: Bloß ein Gerücht!

Mangelhafte Evolution?

Der Mensch ist seit Anbeginn der humanen Evolution viel öfters mit langen Perioden des Mangels konfrontiert gewesen, als mit jenen der Schlemmerei. Deswegen kommt unser ganzes organisches Konzept viel leichter mit Mangel zurecht, als mit ständigem Überfluss. Den gibt es ja schließlich erst jetzt, in unserer ach so „super-modernen“ Zeit, von der ich übrigens – aus kindgerechter Sicht – immer weniger halte.

Wir leben in einem unglaublichen Zustand ständig überfordernder Auswahl, haben immer mehr Klumpert daheim, das wir in immer schnellerer Frequenz austauschen. „Konsumwachstum“ heißt das wohl. So etwas macht nicht nur Pfiffikusse wie unseren Tommy traurig!

Übrigens: Es ist überhaupt nicht schwer gewesen, dem kleinen Jungen zu helfen, viele seiner Spielzeug-Stapel zu reduzieren. Was wirklich viel Mühe gekostet hat, war, Papa Marcus dazu zu überreden, seine Geschenke-Routine endlich einzustellen. Da sind dann so Argumente gekommen, wie: „Wieso Überforderung? Mein Bub spielt doch eh immer bloß mit einem Spielzeug!“ Na, das ist ja mal ein tolles Argument, lieber Marcus.

Verwöhn-Programm?

Wir kennen doch alle die Neigung des Menschen, immer mehr zu wollen, wenn man schon viel hat. Es gäbe ja sonst keine Dollar-Milliardäre, die trotz allen Reichtums noch immer weitermachen mit Gewinnmaximierung und „Wachstumskurs“. Ob die vielleicht auch mal in einem zu vollen Kinderzimmer aufgewachsen sind? Wer weiß?

Wir, als Eltern, dürfen also durchaus zuweilen darüber nachdenken, auf welche Lebenswelt wir unsere Kinder konditionieren möchten, solange sie noch bei uns daheim sind. Das mittlerweile sehr häufige Kinder-Vollverwöhn-Programm darf also durchaus mal ins Rennen gehen gegen ein wenig Verzicht, behutsame Bescheidenheit und somit ganz automatisch etwas mehr Fähigkeit zur Wertschätzung und Dankbarkeit für ganz kleine Dinge des Lebens.

Andersrum

Zum Finale darf natürlich auch die andere Sichtweise nicht fehlen. Schließlich gibt es nicht nur so einsichtige Prachtexemplare, wie Klein-Tommy: Bei der elfjährigen Isabella beispielsweise habe ich echte Schwierigkeiten mit der Überzeugungsarbeit zum Maßhalten gehabt. Auch in diesem Kinderzimmer haben sich Tonnen von Tonnen befunden. Alle voll mit Spielkram. Mein Versuch, etwas gemeinsam auszusortieren, um es dann an ein „armes Kind“ weiterzugeben, hat nur Zögern, dann Gezeter, schließlich sogar Tränen gebracht: „Nein! Das geb´ ich nicht her!“ Na gut, liebe Bella. Dann auf ein anderes Mal!

Weniger ist mehr

Auch, wenn das eventuell schwer zu schlucken ist, aber mein Schluss-Plädoyer soll diesmal wirklich in Richtung Reduktion gehen. Bringen Sie Ihrem geliebten Kind nicht zu viele materielle Dinge zwecks Liebesbeweis mit nach Hause. Erfreuen Sie Ihren Nachwuchs lieber mit Ihrer geduldigen Anwesenheit und einigen kreativen Ideen. Richten Sie das Kinderzimmer eher schlicht, vielleicht sogar „karg“ ein und beobachten Sie, wie sich unter zum Zustand behutsamen Mangels nach und nach die Fähigkeit zur Wertschätzung bei Ihrem Kind entfaltet und dann und wann in kleinen, achtsamen Gesten Ihnen gegenüber ihren Fokus findet. Ziehen Sie das neue Wohlverhalten Ihres Nachwuchses aus einem kleinen, wohl dosierten Hang zum Mangel heraus, nicht aus dem Überfluss.

Sie werden es mögen.


Redaktion

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