#stayathome im Wohnheim

Wie Menschen mit geistiger Behinderung die Corona-Zeit bewältigen

Lisa liebt Action. Wenn sie am Wochenende bei ihren Eltern zu Hause ist, muss immer was gehen, sagt ihr Vater Karl Goerner, der Herausgeber des KARLSRUHER KIND. Doch Action geht gerade nicht und nach Hause zu den Eltern kann Lisa schon seit acht Wochen nicht mehr.
Lisa lebt seit 13 Jahren im Wohnheim der Hagsfelder Werkstätten und Wohngemeinschaften Karlsruhe (HWK) in Söllingen. Die 32-Jährige geht unter der Woche in den Förder- und Betreuungsbereich der Hagsfelder Werkstätten in Neureut. Doch auch das geht seit Mitte März nicht mehr. Viele Menschen mit Behinderung gehören aufgrund von Begleiterkrankungen zu den vom RKI definierten Risikogruppen. Deshalb dürfen sie seit Mitte März nicht mehr zur Arbeit in die Werkstatt, bzw. den Förder- und Betreuungsbereich gehen. In den Wohnheimen herrscht laut Landesverordnung Besuchsverbot, um ihre Bewohner vor einer für sie gefährlichen Infektion mit Covid-19 zu schützen.
Für Menschen mit einer geistigen Behinderung wie Lisa ist das eine ganz besondere Herausforderung. Sie braucht klare Abläufe, auf die sie sich verlassen kann. Dass jetzt alles anders ist, ist für sie, die sich lautsprachlich nicht verständigen kann, kaum zu verstehen. Die Fachkräfte im Wohnheim versuchen mit Hilfe von einfachen Bildtafeln, die lebenswichtigen Hygienemaßnahmen zu vermitteln. „Lisa hat die Regeln schon sehr gut verinnerlicht und weist uns mit Hilfe von Gebärden immer wieder auf die Abstandsregel hin“, erzählt Wohnheimleiterin Sina Waldvogel lachend. Diese im häuslichen Umfeld einzuhalten, ist besonders für Menschen schwer, die sich vorrangig über Körperkontakt verständigen. „Für viele unserer Bewohner war es am Anfang irritierend, uns nur noch mit Mundschutz zu sehen“, berichtet Sina Waldvogel. Manche könnten es bis heute nicht wirklich akzeptieren. Hilfreich seien hier die selbstgenähten Masken, da diese mit ihren bunten Mustern zumindest ein bisschen nett aussähen.
Neben dem Besuchsverbot sollen die Bewohnerinnen und Bewohner laut Verordnung das Wohnheim nur in ganz dringenden Fällen verlassen. Aus diesem Grund gehen sie seit Wochen nicht mehr selbst einkaufen. Die Lebensmittel werden jetzt vom CAP Markt in Durlach geliefert. Einmal in der Woche können die Bewohnerinnen und Bewohner über die Bestellung wenigstens einen „Taschengeldeinkauf“ machen, mit dem sie sich eine Cola, eine Tafel Schokolade oder Gummibärchen nach Hause liefern lassen können. Ansonsten ist Bewegung an der frischen Luft zumindest in dem großen Garten des Wohnheims möglich. Doch auch hier immer nur in Kleingruppen und auf Abstand. Für diejenigen mit großem Bewegungsdrang eine echte Herausforderung. Die Fachkräfte müssen in dieser Zeit ein hohes Maß an Kreativität aufbringen, um den Tag mit den Menschen unter Wahrung der Abstandsregeln sinnvoll zu gestalten. Und es braucht viel Raum für Austausch und gegenseitigen Trost. Was vor Corona vielleicht mit einer herzlichen Umarmung gelöst werden konnte, braucht jetzt die passenden Worte, Gebärden, Bilder, um der Traurigkeit, der Langeweile, der Ungeduld oder auch der Freude Ausdruck geben zu können.
Besonders wichtig in diesen Wochen sind die Grüße, die per Post ins Wohnheim kommen. An Ostern wollte die Familie Goerner Lisa ein Kuscheltier schenken. Problem: das Kuscheltier war nicht waschbar. Also hat die Familie stattdessen einen Brief an Lisa geschickt. Bilder zeigen ihre Familienmitglieder zu Hause auf dem Sofa mit traurigem Gesicht und der Bildunterschrift: „Wir müssen alle zu Hause bleiben!“ Das hat Lisa getröstet. Und für ihre Familie war es eine der wenigen Möglichkeiten, in Kontakt mit Lisa zu treten. „Natürlich haben wir überlegt, Lisa zu Ostern nach Hause zu holen“, erzählt Goerner, doch dann hätte sie sich bei der Rückkehr ins Wohnheim erst einmal zwei Wochen in Isolation begeben müssen. Und mit ihr telefonieren geht nicht: „Sie würde nicht verstehen, warum sie uns nur hören, aber nicht sehen kann.“
Dass diese sehr besondere Zeit auch Chancen bietet, erlebt Wohnheimleiterin Sina Waldvogel: „Wir probieren viele Sachen miteinander aus und entdecken dabei ganz neue Fähigkeiten aneinander“, berichtet sie. Dabei helfe, dass derzeit auch Kolleginnen und Kollegen aus der Werkstatt und aus der Kita im Lebenshilfehaus im Wohnheim im Einsatz seien. „Wir lernen gerade viel voneinander“. Und auch unter den Bewohnerinnen und Bewohnern entstünden gerade neue Freundschaften, bereits Bestehende würden gestärkt.
Lisas Beitrag sei vor allem ihr Humor: „Sie bringt uns jeden Tag zum Lachen“, erzählt Sina Waldvogel und das ist vermutlich das, was wir in diesen Zeiten am dringendsten brauchen.

Andrea Sauermost


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