Weihnachten

Susanne-Keller

Weihnachten. Für mich das schönste Fest im Jahr. Ich liebe den süßen Duft von frisch gebackenen Plätzchen, von Kerzen und Tannen und die strahlenden Lichter an und in jedem Haus. Ich liebe abendliche Spaziergänge im weihnachtlichen Lichtermeer und im Glanz erstrahlende Weihnachtsmärkte mit all ihren Köstlichkeiten und einem Hauch von Vanille und Zimt über­all. Am meisten aber liebe ich die kleinen und großen Geheimnisse, die manch einer nur schwer für sich behalten kann, während ein anderer sie hütet, als hätte er ein Schweigegelübde abgelegt.
Letzteres traf auf unseren Erstgeborenen zu, als er im zarten Alter von vier Jahren seinen Wunschzettel erstmals vollständig allein schrieb. Selbstverständlich war er des Schreibens noch nicht mächtig und ordnete die wenigen ihm bekannten Buchstaben in seiner ganz eigenen Abfolge aneinander. Auf die Frage, was er sich denn nun wünsche, wir seien seiner Schriftsprache leider nicht mächtig, antwortete er lapidar: „Das Christkind ist mächtig.“ Und fortan schwieg er zu seinen Wünschen, hielt sie eisern und konsequent unter Verschluss, während wir völlig ahnungslos im Dunkeln tappten. Trotz allem verlebten wir ein schönes Weihnachtsfest. Unser Erstgeborener strahlte nach der Bescherung über beide Wangen und wir lösten uns aus unserer ängstlichen Anspannung. Zwar hatten wir sein beharrliches Schweigen bis zuletzt nicht brechen, dafür aber auf weihnachtlich wundersame Weise den einen oder anderen Volltreffer landen können. Möglich, dass der feste Glaube unseres Sohnes himmlische Unterstützung auf den Plan gerufen hatte.

Auch dieser unerschütterliche kindliche Glaube ist es, der mir die Weihnachtszeit so lieb und teuer macht. Während die „Kleinen“ die Adventszeit in ehrfürchtiger Erwartung verbringen und jegliches Fehlverhalten vermeiden, wirken die „Großen“ vielfach gereizt und angespannt. Schlechtes Betragen und Streit sind vorprogrammiert. Zu einem jähen und völligen Zusammenbruch der vorweihnachtlichen Hochstimmung führt dann nicht selten gerade des Festes liebstes Stück: der Weihnachtsbaum. Bereits bei meinen Großeltern hing der Haussegen mehr als schief, wenn mein Opa, dem die Beschaffung des Baumes oblag, mit eben diesem über die weihnachtlich geschmückte Schwelle trat. Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten, aber genau dies taten meine Großeltern Jahr für Jahr – wie wahrscheinlich unzählige andere auch. Was dem Opa gefiel oder möglicherweise rein zufällig vor seine Füße gefallen war, fiel bei der Oma bereits durch die Eingangskontrolle, bevor das zarte und frisch „ausgenetzte“ Tännlein überhaupt Luft holen und sich mühevoll zu voller Schönheit entfalten konnte. Nicht selten wurde der Familienfrieden erst durch den Einsatz der Bohrmaschine wieder hergestellt. Ein Löchlein hier, ein Löchlein da, und schon konnte die mitunter tatsächlich bedauernswerte Aus­gabe eines Weihnachtsbaumes mit ein wenig eiligst herbeigeschafftem Tannengrün vom hässlichen Entlein zum stolzen Schwan mutieren.

Selbstverständlich haderten auch meine Eltern in jedem Jahr mit ihrem Christbäumchen. Es gab doch immer etwas zu beanstanden: zu klein, zu groß, zu schmal, zu breit, zu krumm, zu dicht, zu karg, zu dünn, zu dick oder was auch immer. Den perfekten Baum gab es nicht. Und so sah man dann auch meinen Erzeuger alljährlich mit Hammer, Säge und Bohrmaschine bewaffnet dem häuslichen Frieden und dem würdigen Anlass zuliebe den einen oder anderen kosmetischen Eingriff am Baume verrichten.

Was in meinem Elternhaus zudem stets zu Ärger und Verdruss führte, war die Frage nach der angemessenen Schmückung des frisch aufbereiteten Baumes. Während mein Vater und meine Schwester diesbezüglich der Chaos-Fraktion angehörten und vollkommen konfus und planlos vorgingen, bildeten meine Mutter und ich die konservative Fraktion und präferierten den akkuraten und geordneten Stil.
Die Chaos-Fraktion beispielsweise bewarf den armen und noch dazu unschuldigen Weihnachtsbaum in spe aus größtmöglicher Entfernung mit knittrigen Lamettaklumpen, während die Konservativen die „Nachsorge“ betrieben und die einzelnen Fädchen zunächst glätteten, dann im Verbund zu je fünf Fäden zusammenstellten und im Anschluss systematisch und gleichmäßig am Baum verteilten.
Ob traumatisiert oder einfach nur weise – meine eigenen Bäume sind garantiert und vollkommen lamettafrei. Um Konflikten großräumig aus dem Weg zu gehen, bin ich in unserem Haushalt allein und ausschließlich mit der Beschaffung und Bestückung des Weihnachtsbaumes beauftragt. Mein Mann – ob traumatisiert oder einfach nur weise – hat jegliches Mitbestimmungsrecht schon vor Jahren zugunsten eines friedvollen Festes an mich abgetreten.
Und unsere Kinder – (noch) nicht traumatisiert, aber dafür sehr weise – halten sich aus solch sensiblen Angelegenheiten bislang heraus.
Ein schönes Fest und einen wenig streitbaren Baum auch Ihnen, liebe Leserinnen und Leser!


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