Leserbrief: Wer war Anne Frank?

Gedanken anlässlich der „Querdenken“-Demo am 14. November

„Es beklemmt mich doch mehr, als ich sagen kann, dass wir niemals hinaus dürfen, und ich habe große Angst, dass wir entdeckt und dann erschossen werden. Das ist natürlich eine weniger angenehme Aussicht.“

(28. Sep 1942, Anne Frank)

Am 14. November fand auf dem Messplatz Karlsruhe eine „Querdenken“-Demonstration statt. Nur drei Kilometer von dort Richtung Innenstadt liegt das Haus der Jugendverbände Anne Frank. Ein Haus, das für die Jugendbewegung steht und die Erinnerung an ein Mädchen, das 1945 im Alter von 15 Jahren sterben musste, aufrechterhalten soll. Werden die Redebeiträge der letzten „Querdenken“- Demonstrationen betrachtet, scheint es, als sei politische Bildung und das Wissen über den Nationalsozialismus lückenhaft. Wir möchten den Kundgebungen und der Verbreitung derer Reden nicht noch mehr Gewicht geben, als sie ohnehin durch die Medien bekommen haben. Deshalb wollen wir aus aktuellem Anlass die Aufmerksamkeit auf die Frage richten: Wer war Anne Frank?

Annelies Marie Frank wird am 12. Juni 1929 in Frankfurt am Main geboren. Sie ist ein mutiges, fröhliches und schreibbegabtes Kind. Anne Frank wird in eine liberale jüdische Familie geboren. Das bedeutet, dass sie sich den Traditionen der jüdischen Religion verbunden fühlt, aber nicht die Bräuche des Glaubens pflegt. 1933 müssen Anne Frank und ihre Familie mit ansehen, wie Hitler und die NSDAP die Macht ergreifen und den Jüd*innen die Schuld für die Armut und Arbeitslosigkeit im Land geben. Der Hass gegen Menschen jüdischen Glaubens nimmt seinen Lauf und die Franks, Otto und Edith mit Margot und Anne, verlassen Deutschland. Doch selbst als die Familie im Exil in den Niederlanden lebt, ist der Antisemitismus und die damit einhergehenden Maßnahmen gegen Jüd*innen immer deutlicher zu spüren.

Anne und ihre Familie müssen ihr Leben und all ihre Freund*innen verlassen und beziehen mit einer anderen Familie ihr Versteck. Das Hinterhaus in Amsterdam ist nur über einen drehbaren Schrank zugänglich. Otto Franks ehemalige Mitarbeitenden decken und versorgen die Familie und die weiteren vier Untergetauchten dort über zwei Jahre. Anne bekommt kurz vor ihrem Untertauchen ein Tagebuch zum Geburtstag geschenkt. Und schreibt ihre Geschichte dort nieder bis zur Entdeckung. Sie nennt es „Kitty“, da sie es behandeln möchte wie ihre beste Freundin, der sie alles anvertrauen kann.

„Wenn jemand gerade von draußen hereinkommt, mit Wind in den Kleidern und der Kälte im Gesicht, dann würde ich am liebsten meinen Kopf unter die Decke stecken, um nicht zu denken: Wann ist es uns wieder vergönnt, Luft zu riechen?“ […] Glaub mir, wenn man eineinhalb Jahre eingeschlossen sitzt, kann es einem an manchen Tagen mal zu viel werden, ob es nun berechtigt oder undankbar ist. Gefühle lassen sich nicht zur Seite schieben. Radfahren, tanzen, pfeifen, die Welt sehen, mich jung fühlen, wissen, dass ich frei bin-danach sehne ich mich. Und doch darf ich es nicht zeigen. Denn stell dir vor, wenn wir alle acht anfingen, uns zu beklagen oder unzufriedene Gesichter zu machen, wohin sollte das führen?“

(24. Dezember 1943, Anne Frank)

Anne und die anderen Untergetauchten leben in ständiger Angst und Ungewissheit, entdeckt zu werden. Alle müssen sich ruhig verhalten, kein Geräusch darf zu hören sein und wenn doch ein Glas zu Boden fällt, zucken alle zusammen und es herrscht eine Totenstille. Der Angstschweiß liegt im ganzen Hinterhaus in der Luft. Am 1. August 1944 schreibt Anne Frank zum letzten Mal in ihr Tagebuch.

„Ich sehe wie die Welt langsam immer mehr in eine Wüste verwandelt wird, ich höre den anrollenden Donner immer lauter, der auch uns töten wird, ich fühle das Leid von Millionen Menschen mit.“

(01. August 1944, Anne Frank)

Aufgrund anonymer Hinweise fand die Gestapo am 4. August 1944 das Hinterhaus und deportierte die acht Untergetauchten in Konzentrationslager. Anne Frank stirbt im März 1945 mit 15 Jahren im KZ Bergen-Belsen an Fleckfieber, eine Krankheit die von Läusen übertragen wird. Anne Frank ist nur eines von eineinhalb Millionen jüdischer Kinder die im Holocaust ermordet wurden. Eine von vielen verstorbenen Jugendlichen, an die wir mit diesem Schreiben erinnern wollen.

Wir wissen, dass die Pandemie vor allem für junge Menschen eine enorme Herausforderung darstellt und in Krisen oftmals Ungleichheiten verstärkt werden. Wir wollen hervorheben, dass kritisches Denken und Demonstrationen gerade auch in Krisenzeiten wichtige Grundpfeiler unserer Demokratie sind. Auch die Frage, ob die Einschränkung von Grundrechten immer verhältnismäßig ist, ist legitim. Und dennoch, Anne Frank musste um ihr Leben fürchten, und zwar nicht aufgrund eines regelwidrigen Verhaltens, sondern wegen ihrer Religion, die sie von Geburt an, ohne eigenes Zutun und unveränderlich trug.

 

Aline Diller,

Leitung Haus der Jugendverbände Anne Frank


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