Lern-Anforderungen im Stau?

Unser Wiener Heilpädagoge, Gerhard Spitzer, auf der Suche nach Über- und Unterforderungen bei Homeschooling

Grafik: Ida Grosse
Lern-Desaster?

Susanne aus Bruchsal ist nicht nur Mutter des elfjährigen Heiko, sondern selbst ambitionierte Lehrerin in einer Grundschule. Deswegen fährt sie auch eifrig mit im Fahrwasser der Home-Schooling-Anforderungen und ordnet das, was sie soeben erfahren hat – wir erfahren es auch gleich – reflexartig in ihre ganz private Kategorie „Desaster“ ein. Berufs-Ehrenkodex, könnte man sagen… Die Guteste hat nämlich gerade gar Furchtbares aus dem Mail-Eingangsordner gefischt und dockt bei ihrem Sohnemann in gestrengem Ton an: „Was? Deine Englischlehrerin schreibt, du hättest schon seit drei Wochen keine Arbeitsblätter mehr abgeliefert?“ Betroffen schaut der Junge zu Boden. „Ups! Da hätte ich doch irgendwas ganz alleine machen sollen…!“ Ja, hättest du wohl, du kleiner Faulsack! 

Aber Mam ist sowieso noch nicht fertig: „Wie willst du mit denn mit dieser Einstellung die nächste Testarbeit schaffen?“ Eine Online-Testarbeit, versteht sich! (Anm. der Redaktion), „und außerdem hast du schon wieder …!“ 

Ausgeklinkt

Hier klinken wir uns aus, weil Schularbeiten-Standpauken sowieso allesamt denselben Standard-Wortlaut haben, auch wenn ein paar neue online-kompatible Vokabeln dazu gekommen sein mögen. Aber wir haben es eh schon verstanden: Unser guter Heiko hat sich aus dem wenig kindgerechten Bildschirm-Anforderungskatalog einfach ausgeklinkt.

Selbstorganisation?

Aber so ist das eben. Leute! Man kann nicht erwarten, dass Kinder so erwachsenen-kompatibel funktionieren, dass sie sich ohne persönlichen Schul-Kontakt ganz alleine organisieren. Auch eine Familieneigene Lehrerin kann das nicht ändern. Heikos Mama, mit solchen Zuständen vertraut, switcht professionell in den physikalisch hochkomplexen Zustand „strenge Lehrerein“ und vergattert ihren Schüler zu einer Arbeitssession am PC. „Medienkompetenz“ lässt grüßen!

Stimmungskiller

In all dem Arbeitseifer geht es allerdings völlig unter, dass der Junge nur noch mechanisch mitmacht und jene Antworten gibt, Klicks und Kreuzerln einsetzt, von denen er glaubt, dass Mom sie hören und sehen will! Das erwartete Lernergebnis scheint gar nicht mehr im Fokus zu sein. Es geht um das ordentliche Abliefern der Aufgaben! Basta!  

Ein fetter Stimmungskiller im Kinderzimmer. Und der hat auch einen klangvollen Namen: Überforderung! Genau genommen ist es für Heiko, wie für alle anderen „…jugendlichen Gehirne ein permanenter medialer Ausnahmezustand!“. So hat es jedenfalls der berühmte Hirnforscher Manfred Spitzer kürzlich formuliert!  

Unlustig?

Doch dieser Zustand funktioniert auch andersrum:

Johnathan, ein nicht minder ambitionierter Chef-Monteur bei EnBW-Energie in Karlsruhe ist alleinerziehender Vater zweier etwas lebenslustiger Mädels namens Angelika (9) und Flora (13). Der gute Mann ist mit Remote-Learning mindestens genauso heftig überfordert, wie unser soeben abgetretener Held, Heiko. 

Jonathan steht bloß seine Schwiegermutter als Hilfe für die Betreuung der beiden Gören zu Seite. Gut so! Doch die beiden Erwachsenen fahren schon mit manch einem erzieherischen „Sonder-Bedarf“ ihren Einsatz am Limit. Mit der neuen künstlichen Tatsch-Skrien-Lern-Routine, die aus den beiden Schulen daherkommt, können Beide aller-dings gar nichts anfangen. Englisch für Angelika? Französisch bei Flora? Hä? Papa Jonathan ist unglaublich geschickt unterwegs mit Schraubenschlüssel und Mess-Laser. Aber schon bei der hiesigen Grammatik stolpert er zuweilen und bei Mathe erst recht. Doch das ist sein gutes Recht, als von Herzen bemühter und deswegen hochverdienter Familienvater! Wie schon gesagt: So ist das eben. Jeder kann mit den aktuellen Zuständen überfordert sein! 

Nach diesen wenig datengeschützten Einblicken in zwei Badische Otto-Normalfamilien bleibt mir ohnehin nur noch mein heilpädagogisch gefärbter Tippkasten für solche Fälle. Zelebrieren Sie gemeinsam mit Ihrem Kind Ihr neues Herangehen an die besonderen Anforderungen.

Sie werden es mögen!

 

Tippkasten

Sie arbeiten am Lern-Stau Ihres Kindes? Achten Sie darauf, ob Sie eventuell Ihre ganz persönlichen  Anforderungen mit denen Ihres Kindes vermischt haben könnten.

Wenig Tagesfreizeit verfügbar? Trotzdem: Investieren Sie wenigstens ein paar Stunden in ein bisschen Spaß am Lernen! Ohne Spaßgefühl wird nichts hängen bleiben!

Stau beim Lernen ist für ein Kind schon unangenehm genug! Jetzt bitte keine Standpauke! Das Gefühl, nicht gut genug zu sein, ist schlimm genug!

Vater Jonathan probiert Neues: Angelika darf seit Kurzem daheim „strenge Lehrerin“ spielen!

…und sie mag es!


Redaktion

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