KiddyCoach Gerhard Spitzer ergründet diesmal ein „ferienuntaugliches“ Phänomen

Gerhard Spitzer, der bekannte Wiener Verhaltenspädagoge und Autor von Top-Sellern wie „Entspannt Erziehen“ und „Warum zappelt Philipp?“, hat mit seiner humorvollen und konsequent kindgerechten Sichtweise schon zahllosen Eltern zu einem entspannteren Umgang mit ihren Kindern verholfen. Einer breiten Hörerschaft ist Spitzer durch seine Hörfunk-Live-Talks, sowie mit seinem erfolgreichen Seminarkabarett, „Kinder im Tyrannenmodus“ bekannt geworden.

Ja, ich weiß! Für die Allermeisten unter uns sind Ferien sowieso zu kurz, egal, ob es sich dabei bloß um ein langes Weekend handelt, oder gleich um einen üppigen Doppelmonat. Soweit, so klar.

Allerdings: Unter uns Menschen gibt es „Solche und Solche“, wie man so schön sagt. Darum sollten wir uns auch mit so Kindern beschäftigen, wie bei-spiels-weise der zwölfjährige Dario eines ist. Der Junge gehört zu den Solchen, die sich freizeitmäßig offenbar irgendwie im „falschen Film“ befinden: Er mag nämlich Ferien nicht so besonders. Wie bitte? So etwas soll es tatsächlich geben? Aber ja, Leute! Und wie! Dario lässt zum Beispiel Sätze wie diese vom Stapel: „Warum dauern denn die doofen Ferien so lang?“ Klingt kaum „artgerecht“, nicht wahr?

Aber. was könnte der Grund für eine so seltsame Einstellung sein? Ganz einfach: Es scheint wohl, dass daheim bei Dario während der Ferien einfach „nichts läuft“. Die Eltern sind meistens viel zu lange auf der Arbeit, der große Bruder glänzt durch Dauerabwesenheit, die Freunde sind allesamt „auf Urlaub“. Selbstmotiviertes Beschäftigungsprogramm? Fehlanzeige! Aufkommende Ferienfreude ist jedenfalls nicht in Sicht. Ein Sonderfall, meinen Sie? Mitnichten! Ich nehme in den letzten Jahren wahr, dass solche „Zustände“ wieder häufiger aufkommen.   

Darios „abartige“ Ferien-Untauglichkeit kann bei anderen Kindern und Jugendlichen allerdings noch viel tiefer gehende Ursachen haben. Leider sind diese für uns Eltern nicht immer klar genug erkennbar.

Das zeigt der Fall von Veronika F. Die Mutter des neunjährigen Julian ist im letzten August zu mir gekommen. Mit im Gepäck hat sie eine Beschwerde-Sammlung über das Verhalten ihres Sohnemanns: „Unser Julian ist in den letzten Wochen irgendwie unerträglich! Er schnauzt uns wegen jeder Kleinigkeit an, verweigert die meisten Freizeit-Angebote und jetzt schmollt er sogar, weil wir Ende dieses Monats noch für zehn Tage nach Gran Canaria fliegen wollen. Können Sie sich das vorstellen? Dabei ist er sonst ein ganz lieber und leicht lenkbarer Junge. Erst seit ein paar Wochen hat sich das geändert. Denken Sie, wir müssen unser Kind wegen Depressionen oder so etwas Ähnliches untersuchen lassen?“

Diagnose

Na das hört sich für mich nach ganz schwerem Geschütz an. Doch ich denke, an diese Sache können wir ganz entspannt herangehen. Wahrscheinlich werde ich für diese komplizierte medizinische Diagnose bloß die folgenden zwei Fragen benötigen: „Wie lange, sagten Sie noch gleich, dauern die Ferien nun schon an?“, und „Geht Ihr Julian eigentlich gerne zur Schule?“

Mit einer interessanten Mischung aus Verblüffung und erster Erkenntnis in der Stimme antwortet die besorgte Veronika: „Na ja, es sind jetzt so sechs Wochen Schulferien, und: „Ja! Unser Sohn geht sehr gerne zur Schule! Er liebt sie sogar!“

„Sehen Sie, liebe Veronika?“, antworte ich, bereits völlig entspannt, „ich denke, wir haben schon ein erstes medizinisches Untersuchungsergebnis. Ihr Sohnemann gehört wohl zu den Kindern, die sich eher nach einer Wiederkehr in die gewohnte, arbeitsreiche Schulatmosphäre sehnen, als nach einem Sonnen-Bruzzel-Aufenthalt auf Canaria & Co. Einfach, weil er mit dem süßen Nichtstun so seine liebe Not hat.“

Modell?

Das kann Mama Veronika natürlich erst einmal nicht so ganz glauben. Deshalb muss ich jetzt noch deutlicher werden und stelle ihr eine letzte Frage, die das Mysterium um Julians offensichtliche Schulsehnsucht hof-fentlich restlos aufklären wird: „Liebe Veronika, sagen Sie mir doch noch schnell, wie viel Sie oder Ihr Mann im Schnitt so arbeiten!“ Jetzt blitzt etwas in den Augen der Mutter auf, das ich gerne „zerknirschte Erkenntnis“ nenne. Etwas kleinlaut räumt sie ein: „Nun ja: Mein Mann arbeitet nahezu Tag und Nacht!“

Ich glaube, wir brauchen nicht mehr viele Analyse-Fähigkeiten. Der Fall ist klar: Wie der Vater, so der Sohn. Aber so geht es ja vielen Eltern: Sie unterschätzen maßlos die Vorbildwirkung auf Ihre Sprösslinge.

In Julians Fall liegt es wohl ziemlich nahe, dass der Junge als Kind eines überaus fleißigen Menschen wohl auch selbst am liebsten andauernd „fleißig sein“ will, und somit das Nichtstun prinzipiell ablehnt. Punktum! Soziologen nennen diesen wundersamen Kopierprozess übrigens: Modellverhalten.

„Alles klar, liebe Veronika?“, fasse ich gut gelaunt zusammen, „so unglaublich das für Sie klingen mag, aber ihr Julian ist wohl nichts anderes, als ein kleiner Nachwuchs-Workaholic!

Ferienmodus für Erwachsene

Hand auf´s Herz: Wie viele Erwachsene gibt es, die vollkommen unrund laufen, wenn sie mal zwangsweise ausspannen müssen und nicht im „Produktionsmodus“ sein dürfen. Nur allzu wenige rechnen damit, dass sich dieser seltsame Zustand auch schon bei ganz jungen Kindern einstellen kann. Sie, liebe KARLSRUHER KIND-Leser/-innen wissen es aber nun besser. Achten Sie bitte schon auf allererste seltsame Anzeichen, wie beispielsweise jene aus Darios Fall vom Anfang. Lehnen Sie sich entspannt zurück und vermitteln Sie Ihrem Kind, wie sehr Sie die gemeinsame Freizeit, fernab von jedem Gedanken an Arbeit und Pflichten genießen.


Redaktion

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