Je früher, desto kompetenter?

Unser Kolumnist, Gerhard Spitzer, sucht diesmal nach früher Medienkompetenz. Sogar in einem Kinderwagen…

Der bekannte Wiener Verhaltenspädagoge und Erfolgs­autor Gerhard Spitzer, Gründer des Vereins KiddyCoach und Autor von „Entspannt Erziehen“ ist bekannt durch seine humorvollen Vorträge zum Thema.

Ich muss, liebe Freunde, meiner Kolumne diesmal wieder ein bisserl in Richtung „Medienkompetenz“ nörgeln. Ers­tens, weil ich einen Ruf als Österreicher, speziell aber als Wiener zu verteidigen habe. Wir sind ja weltweit als notorische „Raunzer“ bekannt. Na dann los! Zweitens, weil seit meiner letzten Absonderung zu diesem Thema bereits wieder exakt zwei Jahre vergangen sind.

Medien- oder Sozialkompetenz?

Alle rufen lauthals, dass mehr „Medienkompetenz“ her müsse! Doch viele meiner Heilpädagogen-Kollegen, Philologen und sonstige Denker sagen etwas Anderes: „Erstmal müsse soziale Kompetenz als allererstes und wichtigstes Gut erworben werden! Alles Elektronische könne ganz sicher erstmal warten! Na gut! Soweit stimme ich dem auch schon mal zu.

Im realen Leben ist man allerdings geradezu gezwungen, schon recht früh zu lernen, wie „sozial“ neue Medien wie Fäßbuk & Co. wirklich sind: Da gibt es nämlich so nette kleine Gefahrenherde wie Cybermobbing, oder Premium-SMS und teure Apperlapapps und derlei andere Fallen. Deshalb wäre es halt gut, ginge das Erlernen der Medienkompetenz – speziell an unseren Schulen – wirklich in die Richtung „Einschränkung“, behutsame und reflektive Nutzung, Bewusstsein für Gefahren und vor allem in Richtung „sozial kompetentem Verhalten“ im Internet. Dazu gehört beispielsweise, dass man Cybermobbing-Angriffe nicht so­fort mit Anderen teilt, sondern lieber per „Screenshot“ Beweise sichert. Oder, dass man sich als Betroffener nicht sofort mit Gegenangriffen in die Eskalation hineindaddelt. Das alles wäre aus verhaltenspädagogischer Sicht absolut wünschenswert. Aber die Realität sieht meist eher anders aus…

Tages-Lehrplan

Lehrerin Elke S. in einer Real­schule in Frankfurt hat einen Lehrauftrag: „Heute, liebe Kinder, macht Ihr Eure Schularbeiten daheim in Form einer Internet-Recherche und postet ein Excerpt darüber ins Moodle!“ Fragen´s mich bitte nicht, was das alles heißt! Ist mir auch egal! Mir ist der soziale Aspekt wichtiger: Die gute Elke setzt hier nämlich – genau wie tausende andere Lehrkräfte blind voraus – dass jede Familie nicht nur mit vollem PC-Equipment ausgestattet ist, sondern auch noch, dass alle Eltern automatisch mit diesem Schularbeiten-Modus einverstanden sein müssen. Das, liebe Leute, halte ich aber nicht für Kompetenzförderung, sondern schlichtweg für Zwangsverpflichtung!

Das war natürlich nur ein „Exempel“, würde W. Busch sagen. Doch es zeigt, dass es leider doch Grund für mich gibt, zu nörgeln: Der Ruf nach mehr Medienkompetenz gipfelt zwar in sündteuren Elektronik-Massenankäufen an Deutschlands und Österreichs Schulen, aber das Ergebnis verhält sich meiner Wahrnehmung nach, nicht so berauschend kindgerecht!

Kinderwagen-Kompetenz

Aber egal: Langsam sickert wenigstens bei zahlreichen jungen Eltern durch, dass man jetzt noch viel früher als im Schul­alter mit dem Erlernen der Medienkompetenz anfangen kann!

Wie früh? Na sehr früh! Zum Beispiel mit 0 (in Worten „Null“) Jahren! Wie jetzt? Das halten Sie für überzeichnet?

Na dann schauen Sie doch mal in ihrem gut sortierten Kinderwagen-Handels-Kontor im Heimatbezirk vorbei. Dort gibt es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schon den neuen Verkaufsrenner, nämlich bunt verzierte Kinderwagen-Halterungen für den elektronischen Tablet-Schrott der Neunten Generation. Aber nein! Mitnichten rede ich von einer Halterung für Mom, damit sie im Schiebebetrieb zeitnah ihre Emails und Tschätts erledigen kann! Vielmehr ist es ein Gimmick für den kleinen Sonnenschein. Ja, damit der Piepmatz nicht so permanent kräht, sondern was zu schauen hat… oder zu kauen, je nach Geschmack! Unglaublich, aber leider wahr! So lernen Kids eben schon sehr früh, wie es sich so reinlebt in die Daddel-Sucht. Ja, ich weiß, das klingt abgefahren. Aber nicht meine Worte sollten sauer aufstoßen, sondern der Konsum-Kollaps, der sich da ankündigt!

Verhaltenssucht

Klar kann man solche Spielsachen anschaffen! Aber dann bitte sich rund fuffzehn Jahre später darüber wundern/ärgern, dass der heimische Teenie zum Computer-Junkie mutiert ist! Leider wissen die wenigsten Eltern, dass eine Verhaltenssucht nicht minder gefährlich ist, als eine Substanzenbezogene Sucht. Deshalb denke ich, dass für den Erwerb von Medienkompetenz immer noch Sie, liebe Eltern, in hoffentlich guter Zusammenarbeit mit manch einer Lehrperson gefragt sind…

Heilpädagogischer Schlussakt

Schalten Sie ruhig auch mal gemeinsam mit Ihrem Kind ihr elektronisches Klumpert daheim ein! Aber dann bitte hinterfragen Sie doch behutsam, wie gut sich Ihr Kind im Netz abgesichert hat, was ihm gefällt und was es Ihnen vielleicht sogar technisch erklären kann. Das gibt Sicherheit. Stellen Sie sicher, dass Ihr Nachwuchs kein sogenannter „Vieloffenbarer“ in sozialen Medien wird, sondern sich sehr gut mit den Klicks zur Wahrung seiner „Privatsphäre“ auskennt.

Danach schalten Sie doch bitte mal ebenso gemeinsam alle Ihre Geräte, inklusive Flätskrien-TV aus und wünschen einander ein zufriedenes und sicheres „Gute Nacht“!

Sie werden es mögen.


Redaktion

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