Förderliche Förderung?

Gerhard Spitzer, der bekannte Wiener Verhaltenspädagoge und Autor von Top-Sellern wie „Entspannt Erziehen“ und „Warum zappelt Philipp?“, hat mit seiner humorvollen und konsequent kindgerechten Sichtweise schon zahllosen Eltern zu einem entspannteren Umgang mit ihren Kindern verholfen. Einer breiten Hörerschaft ist Spitzer durch seine Hörfunk-Live-Talks, sowie mit seinem erfolgreichen Seminarkabarett, „Kinder im Tyrannenmodus“ bekannt geworden.

Kinder muss man unbedingt fördern!“ Ganz speziell gilt dieser Leitsatz natürlich rund um´s Thema Lernen! Guter Plan! Aktuell denken wohl die allermeisten Eltern so. Stefanie F. ist eine von ihnen: „Mein Sohn braucht doch unbedingt seine Nachhilfestunden! Wie soll er bei seiner Dyskalkulie denn sonst in der Schule voran kommen? Außerdem wollen wir unser Kind ja ordentlich fördern!“

Susan K., eine andere gleichermaßen junge wie ehrgeizige Mutter, sieht das genauso wie Stefanie, nur, dass mit dem Plan zum „lernenden voran Kommen“ halt schon ein wenig früher angefangen hat: Ihre kleine Tochter, Saveria, ist gerade mal vier Jahre alt und besucht aktuell einen Elite-Kindergarten. Dort werden die Minis so heftig gefördert, dass sie dann – mit knapp fünfeinhalb Jahren – ein Abschlussdiplom verpasst bekommen. Inklusive allem Drum-herum, wie einem schwarzen Universitäts-Talar und einem riesigen Doktor-Hut! Das sind keine Fake-News, Leute! Solche Förder-Schmieden wachsen derzeit tatsächlich überall in Mitteleuropa aus dem Boden der verlorenen Kindheit wie die Giftschwammerln.

Rundum-Package

Saveria, die kleine Göre, ist jetzt halt ein rundum-gefördertes achtsprachiges Diplom-Komplett-Package-Vollfunktions-Child!

Bitte um Nachsicht für die Überzeichnung! Aber als Freunde meiner Kolumne kennen Sie ja meine Schwächen sicherlich schon und sind „Kummer“ gewöhnt!

Jedenfalls hoffe ich für unsere kleine Talar-Trägerin, dass sie so einen Event im Verlauf Ihrer späteren Karriere noch wird toppen können, bzw. dass sie es auch wird verkraften können, wenn es in Ihrer Laufbahn mal für irgendetwas kein fettes Zertifikat gibt.

Gut, das war jetzt ein Extrembeispiel, aber weit hergeholt ist es leider nicht! Man braucht ja nur in die Terminkalender manch eines deutschen Otto-Normal-Schulkindes hineinschauen …

Rundum-Plan

Marcel aus Stuttgart beispielsweise hat montags und mittwochs Förderunterricht in Mathe und trifft immer donnerstags auf einen großartigen Native-Speaker zum Nachhilfe-Unterricht in indischem Sanskrit, oder so was ähnlichem. Dass er Dienstag zum Judo und Samstag zum Fussball-Training gekarrt wird, ist eh klar, weil Paps ja auch seinen kleinen Förder-Anteil – inklusive Fussball-Star-Karriere leisten mag.

Ob da nicht a bissl etwas schief läuft in unserer Gesellschaft der perfekt gestylten Jugend?

Mit dieser Frage bin ich ganz bestimmt nicht allein!

Rundruf

Einige namhafte Wissenschaftler, wie Gerald Hüther, Manfred Spitzer, Richard David Precht, und andere rufen schon lange und laut in annäherndem Gleichklang: „Hört auf, eure Kinder bis zum Abwinken zu fördern!“

Unser dringender Wunsch hat ebenso dringende, wie kindgerechte Gründe: Ein Kind, das immerzu gefördert wird, kann nämlich auch mit zunehmendem Alter nur schwer auf persönliche Förderung verzichten. Spätere Eigenkompetenz? Fehlanzeige! Klar habe ich Verständnis: Der Gedanke, es käme bloß auf die richtige Förderungsform an und schon „flutscht“ im restlichen Leben alles wie von selber ist zwar praktisch, aber leider nicht praxisnah!

Frühförderung

Besonders der fast hysterische Trend zur „Frühförderung“ stößt mir sauer auf. Das geht so weit, dass Eltern suggeriert wird: „Wenn du mit deinem Säugling keinen Schwimmkurs, oder mit deinem vierjährigen Mini keinen Vorschul-Sprach-Leistungskurs absolviert hast, landet er als Erwachsener ganz bestimmt im Hartz IV-Umfeld“

Dieser Satz könnte zwar durchaus von mir stammen, tut es aber leider nicht. Der Leiter der Forschungsabteilung für Psychische Gesundheit (Kinder und Jugendliche) am Universitätsklinikum Erlangen, Dr. Ralph Dawirs, hat diesen Satz einmal in einem Interview für den FOCUS ebenso blumig, wie trefflich geprägt und liegt damit erschreckend nahe an der Wahrheit. Was in Baby-Schwimmkursen beginnt, endet dann vielleicht mit den schon vorgestellten Turbo-Kindergärten mit „Abschlussdiplom“ und wissenschaftlichem Arbeiten für Fünfjährige. Gruselig, das!

Förderungswürdig

Wenn ich also ein herzliches Plädoyer für förderliches Miteinander abgeben darf: Achten Sie aufmerksam darauf, wofür ihr Kind wirklich „brennt“. Der Entwicklungspsychologe James Hillman nannte es in seinem Buch „Charakter und Bestimmung“ kindliche Hingaben. Begleiten Sie, ohne jeden Druck oder Leistungsgedanken, dafür aber achtsam und wertschätzend erstmal diese sich selbst offenbarenden Stärken und Begeisterungen Ihres Kindes. Aber bitte: so behutsam, wie nur möglich.

„Lasst uns doch die Wege der Kinder beobachten, vielleicht lernen wir etwas daraus!“ (Maria Montessori)

Wenn Sie die Hingaben Ihres Kindes fördern, wird auch dessen Selbstwertgefühl gestärkt und damit der Wille, sich bei irgendwelchen anderen „Schwä-chen“ zu behaupten. Oft braucht es dann keinerlei zusätzliche Förderung mehr

Nachhilfe

„Nachhilfe“ ist oft gar keine kindgerechte Förderung. Sehr häufig artet es eher in Dressur zur Leistung aus. Damit ist nicht gesagt, dass es nicht wunderbar achtsam und kindgerecht arbeitende Nachhilfe-Lehrer oder Institute gäbe. Darum geht es mir nicht. Ich möchte sie le-diglich von Herzen dazu ermutigen, dass Sie sich zuweilen folgende Fragen stellen: „Kommt mein Kind wirklich gestärkt von seinem förderlichen Termin zurück? Möchte es da gerne wieder hingehen? Fördere ich die Stärken meines Kindes, oder bloß meine eigenen starken Vorstellungen?“

Mein kindgerechtes Plädoyer zum Abschluss: Entspannen ist angesagt! Das einzige, was Kinder wirklich fördert, ist Begeisterung für eine Sache. Damit geht alles wie von selber. Ein geradezu mystischer Vorgang, den Sie dann gemeinsam genießen können.

Sie werden es mögen!


Redaktion

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