Entschleunigen

Kolumne von Eva Unterburg

Menschen mit kleinen Kindern und betagten Eltern haben eines gemeinsam: sie entschleunigen! Kieselsteinsuchende Menschlein zum zügigen Laufschritt zu überreden, gelingt meist genauso wenig, wie alte Menschen zum schnellen Marsch über ein holpriges Kopfsteinpflaster.

Mal schnell kurz vor Ladenschluss die lebensnotwendigen und leider beim letzten Großeinkauf vergessenen Einkäufe erledigen zu wollen, kann sich als Eltern kleiner Mäuse schnell zum Workshop „Loslassen in Demut“ entwickeln. Während Sie durch die Wohnung tänzelnd zu Portemonnaie, Einkaufskorb und Autoschlüssel greifen und ein erstes  „Kinder, kommt mal eben schnell, wir gehen ganz kurz noch etwas einkaufen“ Richtung Kinderzimmer flöten, passieren genau dort die großartigsten Dinge.

Hier wird der in stundenlanger Heimarbeit entstandene Playmobil-Erlebnispark noch mit letzten Feinheiten vervollständigt und dort mit viel Akribie ein Mandala ausgemalt. Beide Tätigkeiten wären in Ihren Augen und vor allem wegen des steten Blickes auf die fortschreitende Zeitangabe ihrer Armbanduhr durchaus geeignet unterbrochen zu werden, denn schließlich geht es um so lebenserhaltende Dinge wie Brot, Butter und Joghurt. Ein Notfall eben.

Ihre Kinder allerdings zeigen durch fortwährendes Überhören Ihrer elterlichen Lockrufe keinerlei Reaktion, sondern vielmehr stoisches Beharrungsvermögen in ihrem Tun. Hoch konzentriert wird weiter gebaut und ausgemalt.

Und spätestens, wenn Sie im Türrahmen zum Kinderzimmer stehend, den Einkaufskorb unter dem Arm, dieses Stillleben betrachten, tritt der Moment der Entschleunigung ein und Sie kommen zum dem Schluss, dass solch heilige Augenblicke der völligen kindlichen Hingabe nicht aufzuwiegen sind mit prosaischen Dingen wie Brot, Butter und Joghurt.

Beseelt kehren Sie zu Ihrem Tun zurück und kommen nach einem schweifenden Blick durch den Kühlschrank zu dem spontanen Schluss, dass in Ihrem Haushalt die experimentelle Küche bisher viel zu wenig Anwendung gefunden hat.

Als erwachsenes Kind von inzwischen alten Eltern wird sich Ihnen vielleicht in naher oder ferner Zukunft ein ähnliches Szenario auftun. Ihren Eltern geht es gut, sie sind liebevoll versorgt und Sie möchten ihnen an einem Ihrer wöchentlichen Besuche etwas ganz besonders Gutes tun. Ein kleiner Ausflug soll es werden zur nahe gelegenen Burg. In den blühendsten Farben malen Sie sich aus, wie schön man nach einem kleinen Spaziergang bei bestem Wetter im Burghof picknicken könnte. Mit weitem Blick über das Umland, unter strahlendster Sonne und mit vielen „Weißt-du-nochs“ im lebendigen Gespräch. Am Telefon, Tage vorher miteinander geplant und mit viel Vorfreude Ihrerseits vorbereitet.

Die karierte Decke, Gebackenes und Gesottenes samt einer Flasche Wein im Korb, kommen Sie frohgemut in den heimatlichen Gefilden an – und finden Ihre Eltern tiefenentspannt und keineswegs ausgehbereit vor.

Der gewohnten Wiedersehensfreude folgen erstaunte Blicke auf den prall gefüllten Picknickkorb. „Ach, das war heute?“

„Wir sind jetzt gar nicht gerichtet“. Stimmt, das sieht man, denken Sie dann halblaut vor sich hin mit Blick auf die Gartenhose Ihres Vaters. Die Begeisterung, das Sichrichten schnell noch nachzuholen, hält sich von Elternseite in Grenzen und spätestens dann tritt wieder der gewohnte Entschleunigungseffekt ein und Sie lassen Ihren alten Vater seine Bohnen im Garten anbinden und die Mutter ihren Schal weiterstricken, während Sie im Garten das Picknick vorbereiten.

Und wenn dann Ihre Mutter mit dem alten Mensch-ärger-nicht-Spiel aus Kindertagen dazukommt, haben Sie alles richtig gemacht.


Eva

Eva Unterburg

Eva Unterburg schreibt wunderschöne Rezensionen über Kinderbücher und ist langjährige Freundin der Redaktion.

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