Phillies Tagebuch: „Käschtle, Käschtle, Trallala“

Gedanken zum Thema „Kinder & Medien“ unseres jungen Karlsruher Autors Philipp Grosse

Foto: Ida Grosse

Achtung! Bo schaut ins Käschtle“ ist ein Satz, der öfter bei uns fällt. 

Kurz zur Erklärung… ein Käschtle kann Smartphone, Tablett, Laptop oder die Glotze sein. Bo ist jetzt fast sechs Monate alt und seit sie mobiler wird, bringt das einige Herausforderungen mit sich. Vor allem, weil wir doch so gern am Käschtle hängen, um unsere digitale Sucht zu befriedigen. 

Leidenschaftlich durch Nonsens zu scrollen scheint die Erfüllung unserer Generation zu sein.

Dass man zu viel in der digitalen Welt abhängt, ist – glaube ich –jedem klar. Ich persönlich übe mich immer wieder im digitalen Detox und steige auf ein altes Nokia um oder lasse mein Smartphone öfter mal zuhause. Die Stimmung ist dann sehr romantisch, wenn ich nach so einem Detoxausflug mit Bo zurückkehre und nicht erreichbar war.

Aber zurück zum Thema… Medien und Lernen. Wir sind uns beide darüber einig, dass die Nutzung digitaler Medien für uns auf jeden Fall voll klar geht. Wir leben mittlerweile in einer Welt mit einem hohen digitalen Anteil und

Einfluss, daher ist es uns wichtig, dass unsere Tochter einen gesunden Umgang damit lernt. Die Mischung macht’s!

Mein persönlicher Favorit ist der klassische Spruch „Learning by Doing“! Ich bin ja großer Fan vom aktiven Erleben, Ausprobieren und Selbst-machen anstelle von langweiligem Schulbank-Drücken und dem Lernen aus dem Buch.

Wie ich mich als Kind gefreut habe, als ich mal an den Computer durfte und auch mal so ein „Lernspiel“ ausprobierte. Morhuhn hieß das, glaube ich. Klasse! Vorallem hatte ich mich in Geduld üben müssen, da meine Freunde extrem gut darin waren und ich ewig nicht dran kam.

Was ich ja nach wie vor krass finde, sind diese Tonnen an Lehrmaterial, die die Kinder täglich zur Schule schleppen müssen. Ich erinnere mich noch gut, wie mich das als Kind schon genervt hat und wie ich es oft als Qual empfunden habe, den ganzen Quatsch schleppen zu müssen. Das finde ich nach wie vor völlig unnötig und auch bei unseren heutigen Möglichkeiten überhaupt nicht zeitgemäß.

Meiner Meinung nach sollte auch nach Schulschluss Schulschluss sein, damit sich die Kinder ihren Hobbys und Interessen widmen können, bei denen sie meist weit mehr dazulehren als bei den doofen Hausis und wahrscheinlich auch mehr Brauchbares fürs Leben.

Es hat nicht lange gedauert, dass ich dahinter gekommen war, dass ich ja auch bei meiner Tischnachbarin mit ins Buch schauen kann. Teamwork ist das Stichwort und klasse Gespräche haben sich auch automatisch ergeben. Mit der Zeit

wurde mein Rucksack immer leichter und irgendwann hatte ich dann garnichts mehr dabei. (Kleiner Scherz am Rande, aber im Grunde war es so.)

Was hätte ich für ein Tablett gegeben… Ich erinnere mich noch an das Motorola, das ich als Teenager irgendwann hatte. Ein Schuhkarton mit ausfahrbarer Antenne, so groß wie ein Nike Air Jordan. Man könnte mich ja einen kleinen Minimalisten nennen, denn meist hatte ich nur einen Spiralblog dabei, sofern ich überhaupt zur Schule gegangen bin.

Gegen Ende lag meine Schwänzquote bei lockeren 75% und meinen Abschluss habe ich in der 10. geschenkt bekommen, da mein Direx meinte, dass mein Lifestyle nicht so passend für seine Schule sei und ich mal die Welt außerhalb seines Gemäuers kennen lernen sollte.

Und da wären wir beim Punkt Schule. Oh, wie ich das Schulsystem gehasst habe.

Nachdem man mir die Schultüte überreichte, ging es für mich los mit der Horror-Show. Es gibt aber auch Dinge, die ich an der Schule mochte. Das waren Freistunden, die Pausen und der Schulchor. Der letzte Schultag vor den Sommerferien war meistens nicht so der Hit, da gab es ja das blöde Zeugnis.

Mein Vater war von einer Leistungsvorstellung besessen, die ich bei Weitem nicht erfüllen konnte und wollte. Dieser systematische Leistungsdruck meiner Eltern fing schon in der Grundschule an und gleichzeitig auch meine Manöver, diesem System zu entkommen.

Als ich herausgefunden habe, dass man nicht mehr am Unterricht teilnehmen muss, wenn man krank ist und zuhause in Ruhe endlich ein paar schöne Tage verbringen kann, habe ich begonnen mich krankzustellen.

Das ging so weit, dass ich verschiedenste Krankheitsbilder simulierte. Lieber ins Krankenhaus, als mich diesem Schuldruck auszuliefern. Druck von allen Seiten, Mitschüler/-innen, die besser waren, Lehrer/-innen, die von meinen eigentlichen Stärken und Interessen genervt waren und der Druck der Erziehungsberechtigten.

In meiner Arbeit als Erzieher fallen mir heute immer wieder Eltern auf, die sich diesem Vergleichswettbewerb und dem von der Gesellschaft vorgegebenen Leistungsdruck völlig ausliefern und hingeben – zum Leidwesen ihrer Kinder.

Oft erlebte ich Kinder, die Angst hatten, nach der Kita oder der Schule nach Hause zu gehen, da sie wussten, dass sie nicht die an sie gestellten Erwartungen erfüllt hatten. Das ist doch schlimm!

Lernen soll doch Spaß machen oder etwa nicht? Ich finde schon! Und das kann es auch, wenn man mit den Interessen der Kinder arbeitet und dabei ihre individuelle Lerngeschwindigkeit akzeptiert und annimmt.

„Waaas? Bo möchte sich noch nicht auf den Bauch drehen!?“ Nein, möchte sie anscheinend noch nicht. Dafür hat sie gestern in Rückenlage an einer internationalen Zoom-Konferenz zum Thema Donnerfürze teilgenommen und eine Rede gehalten, die die Zuhörer/-innen von ihren Hockern geblasen hat!

Ich wünsche mir für unsere Tochter, dass sie diese wunderschöne kindliche Neugier und die damit einhergehende Lernbereitschaft, an der sie uns täglich teilhaben lässt, nie verliert und ihr Leben lang gerne Neues ausprobiert und dazulernt, ohne all das mit Druck zu verbinden.

Und das Gleiche wünsche ich mir auch für uns Eltern!

So… ich muss jetzt aufhören zu tippen. Bo kam gerade angeflogen, sitzt jetzt bei mir auf dem Schoß und starrt regungslos ins Käschtle.


Phillie

Phillie

Phillie erzählt in seinen Tagebucheinträgen von seinen Erfahrungen als Papa. Er ist gelernter Erzieher und Yoga-Lehrer.

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