Erziehung ohne Geschlechter-Klischees – geht das überhaupt?

Betrachtungen der Karlsruher Autorin Anne Keck

Foto von Allan Mas von Pexels

Mama, wieso gibt es hier eigentlich keine Ritterinnen?“ Meine zu diesem Zeitpunkt fünfjährige Tochter blickt von ihren Spielfiguren auf und schaut mich stirnrunzelnd an. Wann genau ist er, dieser Zeitpunkt, an dem es Mädchen zum ersten Mal auffällt, dass in der Welt, in der sie aufwachsen, Frauen nicht überall glei-cher-maßen vertreten sind so wie Männer und die Spielregeln für Jungs und Mädchen nicht immer die gleichen sind? Was Frauenrechte angeht, sind wir einen weiten Weg gegangen. 

Die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau ist heute fest in unserem Grundgesetz verankert. Jüngere Kinder wissen jedoch noch nicht viel über Gesetze. Was mein Sohn aber schon weiß: „Die Haarspangen kann ich nicht im Haar lassen, das ist was für Mädchen, da lachen die anderen Jungs im Kindergarten vielleicht“.  Dabei hatte er sie sich zuvor begeistert in die Haare gesteckt. Wann genau ist dieser Zeitpunkt, an dem es Jungs zum ersten Mal auffällt, dass die Farbe rosa oder „mädchenhaft“ sein für sie vermeintlich nicht geht? 

Anne Keck

In meinen Trainings zu gendergerechter Pädagogik haben die Teilnehmenden sofort eine Menge Beispiele parat, was einen „richtigen Mann“ oder eine „richtige Frau“ so ausmacht. Nach einer Weile werden die ersten Gegenbeispiele aufgeführt. Von sensiblen Männern und selbstbewussten Frauen. Kein Wunder: Die meisten Eigenschaften, die wir als typisch männlich oder weiblich kategorisieren, sind nichts als Klischees.

Unser Gehirn liebt Schubladendenken – es geht schnell und macht uns das Denken einfacher. Unbewusst greifen wir alle im Alltag auf die Kategorisierung von Situationen, Menschen und Personengruppen zurück.  Doch Menschen in Schub-laden zu stecken, führt oft zu unfairen Vorurteilen. Gerade was Stereotype rund um das Geschlecht angeht, sollten wir uns bewusst machen, welche Auswirkungen diese noch immer in unserem Alltag und bei wichtigen Lebensentscheidungen haben. Dazu gehören Fakten (vgl. statistisches Bundesamtes bzw. dritter Gleichstellungsberichts) wie etwa:

  • die vier Jahre niedrigere Lebenserwartung von Männern (u.a. aufgrund eines Männlichkeitsbildes, das für einen ungesünderen und gefährlicheren Lebensstil sorgt), oder
  • dass nur jede dritte Führungskraft in der EU weiblich ist (Deutschland liegt sogar noch unter dem EU-Durchschnitt) und es in Vorständen deutscher DAX-Unternehmen nur 11% Frauen gibt,
  • dass Berufe noch weitgehend geschlechtstypisch ausgewählt werden (2018 waren nur knapp 12% Frauen in MINT-Berufen erwerbstätig und 2020 nur gut 16% Männer in erzieherischen Berufen),
  • dass das klassische Zuverdiener-Modell nach wie vor überwiegt und Frauen den Löwenanteil an unbezahlter Care-Arbeit und Männer die finanzielle Verantwortung schultern
  • oder dass wir zwar 16 Jahre eine Kanzlerin hatten, doch auch im neu gewählten Bundestag unsere Volksvertreter/-innen nur zu 35% weiblich sind.

Dass diese erhebliche Ungleichheit nicht auf angeborene Unterschiede sondern auf unsere Sozialisierung zurückzuführen sind, da ist sich die Wissenschaft heute überwiegend einig. Darstellungen in Bilderbüchern (wenn z.B. eine Feuerwehrfrau in einem Feuerwehrbuch enthalten ist, dann immer an der Stelle, wo die süße Katze vom Baum gerettet werden muss), Figuren in Kinderserien (manchmal ist eine weibliche Heldin dabei, dann aber in rosa, wie etwa bei Paw Patrol), Schulranzen (Weltraum und Dinos für Jungs, Herzen und Pferde für Mädchen) oder T-Shirt-Sprüche („Girls, keep smiling“) bringen die Rollenerwartungen an unseren Nachwuchs auf den Punkt.

Und die Konsumgüterindustrie unterstützt die angeblich „natürlichen Bedürfnisse“ unserer Kids, denn es lässt sich durch den doppelten Konsum mehr Geld verdienen, als wenn alle Kinder mit dem gleichen Spielzeug spielen würden. 

Ein Blick in die Spielzeugkataloge jetzt vor Weihnachten und wir wissen: Puppen und Bügelperlen sind für Mädchen, Technik und Fahrzeuge für Jungs. Ernsthaft jetzt? Diese klischeehafte Darstellung der Welt ignoriert nicht nur die individuellen Interessen und Talente unserer Söhne und Töchter, sondern schließt mit diesem binären Denken auch alle aus, die sich als divers verstehen.

Ich wünsche mir, dass unsere Kinder in einer Welt aufwachsen, in der sie ihre ganz persönlichen Stärken und Vorlieben möglichst frei von Rollenklischees entfalten können. Mit vielfältigen Vorbildern (im Spiel und im echten Leben) und einer bunten Auswahl z.B. an Haarspangen für alle, denen es gefällt. 

Und das können wir als Eltern dazu beitragen:
  • Medien meiden, in denen die Geschlechter allzu klischeehaft dargestellt sind. Wenn es gar nicht anders geht, Pronomen beim Vorlesen einfach mal vertauschen.
  • Bei Spielzeug, Kleidung, Farben, Themen jedem Kind individuell alle Wahlmöglichkeiten anbieten.
  • Kinder bestärken, Konflikte friedlich zu lösen und Gefühle auszudrücken und unabhängig vom Geschlecht Bewegung und körperliche Ausdrucksformen fördern.
  • Vermitteln, dass Haushaltsarbeit/Fürsorgearbeit aber auch Heimwerken/Reparaturen wichtig sind – im Idealfall leben wir als Eltern vor, dass beide Elternteile auch in beiden Bereichen tätig sein können.
  • Kinder darin bestärken Freundinnen und Freunde zu haben.
  • Sich einen gendersensiblen Umgang mit der Sprache angewöhnen. Euer Kinderarzt ist eine Ärztin? Dann sprecht auch davon, dass ihr zur Kinderärztin geht.
  • Das Wort „Mädchen“ nie als Beleidigung oder Drohung verwenden und nicht einem Mädchen Komplimente machen, die man nicht auch einem Jungen machen würde.
  • Vorurteile im eigenen Umfeld (bei Kindern und Erwachsenen) hinterfragen und diskutieren – sexistische Sprüche nicht tolerieren.

Übrigens: Auch die ersten Firmen denken langsam um. So hat etwa LEGO gerade beschlossen, das eigene Spielzeugsortiment mit Blick auf das Thema „Gender Bias“ zu überarbeiten. Ich bin gespannt!


Redaktion

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