Alle Sinne ansprechen – Vorsicht mit Medien für Kleinkinder

Dipl.-Päd. Detlev Träbert rät zur Vorsicht mit Medien für Kleinkinder

Grafik: Ida Grosse

Als ich 1960 eingeschult wurde, lebten rund drei Mrd. Menschen auf der Erde. Heute, mehr als 60 Jahre später, sind es fast 7,9 Mrd. – mehr als zweieinhalb mal so viele. In Deutschland allerdings fällt das Bevölkerungswachstum in diesem Zeitraum mit 14 Prozent wesentlich geringer aus. Viel stärker angestiegen ist bei uns hingegen das Durchschnittsalter. Wurden 1960 noch 1,6 Prozent aller Menschen im Land über 80 Jahre alt, sind es gegenwärtig schon mehr als vier mal so viele. Die durchschnittliche Lebenserwartung hat um rund zehn Jahre zugelegt. Männer werden aktuell bei uns etwa 79 und Frauen über 83 Jahre alt. Und während die Geburtenrate bei meiner Einschulung noch bei 2,5 Kindern pro Frau lag, beträgt sie heute nur noch etwa 1,5 – die deutsche Bevölkerung schrumpft langsam.

Was sich in den letzten sechs Jahrzehnten allerdings dramatisch weiterentwickelt hat, ist der technologische Standard. 1960 gab es bei uns nur einen Fernsehkanal für die zwei Mio. TV-Geräte. Heute verfügen zwei Mio. Haushalte über jeweils mindestens vier Geräte, und dank Streaming-Diensten haben wir Zugriff auf unzählige Kanäle. Einen „Fernsprechapparat“ besaß 1960 längst nicht jeder Haushalt, weltweit gab es nur rund 120 Mio. Anschlüsse – heute sind allein in Deutschland rund 38 Mio. Festnetzkunden und 67 Mio. Smartphones registriert.

Die Entwicklung des technologischen Fortschritts betrifft alle Lebensbereiche, nicht zuletzt den Spielzeugmarkt. Auch hier hat die Elektronik Einzug gehalten. Es gibt Kleinkinder, die, wenn man ihnen ein Bilderbuch in die Hand drückt, erst einmal über das Titelbild wischen, weil sie erwarten, dass dann etwas geschieht. Das Heranwachsen unserer Kleinen vollzieht sich außerdem wesentlich öffentlicher als früher, weil unsere Fotos nicht mehr in Alben kleben, sondern häufig in den sozialen Medien kursieren.

Die Welt hat sich also total verändert, die Biologie des Menschen hingegen nicht. Vieles von dem, was wir als Fortschritt empfinden, ist für unsere Kinder alles andere als positiv. Auch wenn schon Babys über Bildschirme wischen, heißt das nicht, dass ihnen das gut tut. Was ihnen jedoch nicht nur gut tut, sondern lebensnotwendig ist, ist eine stabile Mutter-Kind-Bindung von Anfang an, die sich naturgemäß aus dem Versorgen des Babys ergibt. Es zu stillen, zu waschen und seine Windeln zu wechseln bilden die Basis dafür; schmusen und Streicheleinheiten, mit ihm zu reden und ihm vorzusingen sind die Kür.

Kleinkinder brauchen also sinnlichen Kontakt – eine bloße Anwesenheit unter gleichzeitiger Nutzung von Smartphone oder Tablet reicht nicht aus. Wenn sie nach und nach heranwachsen, wird der Körperkontakt allmählich geringer. Aber ihre eigene Entwicklung, sogar die der Intelligenz, ist von körperlichen Aktivitäten mit allen Sinnen abhängig. Kinder müssen hören, riechen, sehen, schmecken und fühlen können; sie brauchen ganzheitliche Erlebnisse. Mit Mama Plätzchen zu backen oder beim Waldspaziergang die Vögel zu beobachten ist nicht nur spannend, sondern live. Unsere Kleinen müssen liegen und laufen, krabbeln und klettern, buddeln und bauen; sie müssen spielen und Spaß haben und vor allem selber aktiv sein. „Das Spielen ist die Arbeit des Kindes“, hat Maria Montessori einst festgestellt. Bildschirmmedien hingegen halten Kinder von ihrer „Arbeit“ ab, bieten nur Konserven und sprechen zudem lediglich den Sehsinn und das Gehör an – alles andere wird vernachlässigt.

Unter anderem aus diesem Grund empfehlen die Experten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), dass Kinder in den ersten drei Lebensjahren Bildschirmmedien am besten gar nicht nutzen sollten. Bilderbücher, Hörgeschichten und Musik hingegen und ganz besonders das Vorlesen besitzen förderliche, anregende Wirkungen, weil sie vor allem die Fantasie stärken. Im Alter von vier bis sechs Jahren dürfen der Fernseher und andere Mattscheiben für maximal 30 Minuten am Tag hinzukommen, wenn auch nur in Gemeinschaft mit Bezugspersonen, die erklären und kommentieren können, was es alles zu sehen gibt. Im Grundschulalter gelten 45-60 Minuten als Höchstdosis pro Tag, und auch dann noch sollten Kinder nicht allein vor dem Bildschirm sitzen.

Natürlich können wir die Zeit nicht mehr ins Jahr 1960 zurückdrehen. Das wäre auch gar nicht sinnvoll, denn selbstverständlich gibt es seither zahllose positive Entwicklungen. Aber ein bisschen kritischer mit den modernen Errungenschaften unserer Zeit umzugehen, das wäre schon hilfreich für den Alltag mit unseren Kindern. Ihre natürliche Lebendigkeit wirkt ansteckend und belebt unsere Routine – wir müssen nur ab und zu das Handy aus der Hand legen und uns darauf einlassen.


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