Familie sein in Deutschland – Flüchtlingsfamilien in Karlsruhe

Ein Beitrag der Teamleiterin des KarLa-Hilfsprogramms des Landratsamts über die Arbeit mit Flüchtlingfamilien

Werden Samira, Nur, Lydia, Tarek und Achmed noch kommen? (*alle Namen geändert) Ich sitze im kleinen Kellerraum der Gemeinschaftsunterkunft und warte seit einer Viertelstunde auf meine Teilnehmerinnen aus Syrien und dem Irak und vielleicht auch auf den einen oder anderen Ehemann. Die Kinder draußen haben mich gleich gesehen und mir beim Hereintragen meiner Materialkiste geholfen. Der Beamer für den kleinen Film auf Arabisch ist aufgebaut, das Poster mit der wackligen Hängebrücke, die uns als Symbol für diesen Kurs dient, hängt wie jeden Donnerstag an der Wand. Nicht ungeduldig werden, nehme ich mir vor. Soviel weiß ich ja schon: Als typisch Deutsche habe ich meinen Plan, ich arbeite alles „der Reihe nach“ ab und möchte pünktlich um sechs Uhr nach Hause.

Birgit, die gleich jeden Satz von mir ins Arabische übersetzen wird, ist gelassen. Sie hat selbst sechs Jahre in Syrien gelebt. „Weißt du“, sagt sie, „wir Deutsche können Zeit verlieren. Wenn wir sie nicht nutzen, ist sie für immer verschwunden. In der arabischen Welt kehrt die Zeit immer wieder. Viele wichtige Dinge passieren gleichzeitig und Beziehung kommt immer vor dem Plan. Sie werden schon noch kommen.“ Und ja, die erste Teilnehmerin kommt und begrüßt mich herzlich und auch die anderen erscheinen nach und nach. Nach einer halben Stunde können wir beginnen.

Diesmal sprechen wir darüber, wie Eltern ihren Kindern Brücken zwischen den verschiedenen Welten bauen können. Ein bisschen kennen wir uns nun schon nach den ersten beiden Kurstagen und so entsteht rasch ein lebhaftes Gespräch. Brücken bauen für die Kinder? Eine große Aufgabe für diese geflüchteten Menschen, die doch für sich selbst noch nicht wissen, wohin der Weg sie führt, die gerade mal angekommen sind in Sicherheit. Lieber würden die Eltern mit mir über ihre eigenen Probleme sprechen: Über Aufenthaltsfragen, über Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten und über die schwierigen Bedingungen in der Gemeinschaftsunterkunft. Dass ich ihren Blick auf die Kinder lenken möchte, erscheint ihnen verständlicherweise zweitrangig.

Doch ich weiß auch, dass diese belastenden Ereignisse im Leben der Eltern ein Gefährdungsrisiko für die Kinder darstellen können. Aber auch, dass ein gemeinsamer Austausch und gegenseitiges Vertrauen schwierige Situationen verbessern können. Und dieser Stärkekurs soll dabei mithelfen.

Erst nach einiger Zeit gelingt es uns, über Schule und Kindergarten zu sprechen. Kennen die Mütter den Weg zur Schule, die Erzieherin im Kindergarten? Was erleben ihre Kinder dort? Tatsächlich sagen einige der Eltern, dass sie die Verbindung zur Lebenswelt ihrer Kinder etwas verloren haben. Manche Kinder lernen so schnell, dass die Eltern sich zurückgelassen fühlen und Sorge haben, den elterlichen Einfluss in unserer Konsumgesellschaft zu verlieren. Sie fragen, wie sie dann weiter Vorbild für ihre Kinder sein können. Wir schauen zusammen einen kleinen Ausschnitt aus dem Film. Es wird klar, dass auch die Kinder viel Verunsicherung erfahren. Es hilft ihnen, wenn ihre Eltern trotz eigener Belastungen Interesse am kindlichen Alltag zeigen. Nur dann kann das Kind zuhause erzählen, was alles anders ist hier, was besser und was schlechter ist und was es gelernt hat. Die Eltern wählen zum Schluss eine Aufgabe aus, die sie in der nächsten Woche ausprobieren wollen, beispielsweise „Ich frage mein Kind, wie es in der Schule war und höre fünf Minuten aufmerksam zu.“ Ob sie wohl etwas Neues über ihr Kind erfahren? Nächste Woche wollen wir dann diese Erfahrung auswerten.

Sechs gemeinsame Termine haben wir und es bleibt spannend, wer zum Kurs kommt. Doch einige Frauen sind jedes Mal dabei und unsere Gespräche werden intensiver. Wir sprechen über gewaltfreie Erziehung und wie es auch ohne Schläge möglich ist, dass Kinder Respekt vor ihren Eltern haben. Ich sehe meine Aufgabe darin, unser eher autonomieorientiertes Modell von einer förderlichen Umgebung für Kinder darzustellen. Zu erklären, warum wir früh die Individualität des Kindes fördern, ihm viel Mitspracherecht einräumen.

Dabei geht es nicht darum, was besser oder schlechter ist, sondern um kulturelle Unterschiede. Unser partnerschaftliches Modell von Familie und Erziehung unterscheidet sich von dem Lehrermodell meiner arabischen TeilnehmerInnen, die mehr Wert auf Respekt, Gemeinwohl und Verbundenheit legen. Deren Kinder eher „wir“ als „ich“ sagen. Die gemeinsame Familienzeiten nicht wie wir verabreden müssen, um sich zusammengehörig zu fühlen, da Eltern und Kinder in der Nacht alle im gleichen Zimmer schlafen und die unsere Einschlafrituale nicht brauchen. Deren Rollenverständnis zwischen Mann und Frau nun durch die Erwartungen von außen erschüttert wird und sie eine andere Arbeitsteilung erproben, was wiederum Auswirkungen auf die Kinder hat.

Meinen Plan für die Stunde erfülle ich nie, aber in einigen wichtigen Gesprächen begegnen wir uns intensiv. Ich bin fest davon überzeugt, dass alle Eltern das Beste wollen für ihr Kind und schaue mit großem Respekt auf meine Kursteilnehmer, die auch deshalb ihr Land verlassen haben.

Ingrid Bethge

KarLa – Sozialpädagogische Hilfen für Familien e.V., Anbieter von Stärkekursen in Gemeinschaftsunterkünften im Landkreis Karlsruhe, Heidengass 10, 76356 Weingarten, Tel 07244 – 607520, Karla-ev@web.de, www.karla-ev.de


Redaktion

Redaktion

Die Karlsruher Kind Redaktion informiert über Neuigkeiten, Aktionen, Veranstaltungen und Angebote in Karlsruhe und der Region.

Alle Artikel von Redaktion


Anzeigen
Anzeige
Anzeige

Anmelden

Registrieren

Passwort zurücksetzen

Bitte gib deinen Benutzernamen oder deine E-Mail-Adresse an. Du erhältst anschließend einen Link zur Erstellung eines neuen Passworts per E-Mail.