Esstörung oder Fütterproblem?

Satter geht’s nicht!

Gerhard Spitzer, der bekannte Wiener Verhaltenspädagoge und Autor von Top-Sellern wie „Entspannt Erziehen“ und „Warum zappelt Philipp?“, hat mit seiner humorvollen und konsequent kindgerechten Sichtweise schon zahllosen Eltern zu einem entspannteren Umgang mit ihren Kindern verholfen. Einer breiten Hörerschaft ist Spitzer durch seine Hörfunk-Live-Talks, sowie mit seinem erfolgreichen Seminarkabarett, „Kinder im Tyrannenmodus“ bekannt geworden.

Bei diesem kleinen, aber schwer verdaulichen „Häppchen“ werden sich viele wohl fragen: „Was hat Essverhalten mit Erziehung zu tun?“ Warten Sie mal ab …

Satt

Ein Schultag: morgens, nach dem vorabendlichen Familien-Abendessen mit Papa, dem ewigen Spätheimkehrer, wird Jonas, der elfjährige Sohnemann liebevoll von seiner Mom geweckt. Doch die Guteste wird enttäuscht: Jonas ist heute Morgen alles andere als liebevoll. Mürrisch schnauzt er sie an: „Lass mich in Ruh’!“ Dabei hätte die Mama so gern, dass ihr Sonnenschein seinen Tag wie früher gut gelaunt, frisch erholt und lächelnd beginnt. Aber das alles gibt es morgens schon lange nicht mehr. Kein Wunder: Als ich bei Gelegenheit mal nachfrage, erfahre ich, dass der süße, schon etwas rundlich wirkende Knabe jeden Morgen saures Aufstoßen in der Kehle verspürt. Der Kleine hat Sodbrennen! Sowas haben eigentlich nur Erwachsene, besonders schwangere Erwachsene… Aber ein Elfjähriger? Ich kann’s kaum glauben!

Wir haben hier also eine ganz normale Familie, in der die Eltern im konsumgesellschaftlich verordneten Dauereinsatz sind. Der übervolle Arbeitstag hat auf Wunsch des Vaters unbedingt am abendlichen Esstisch seinen Abschluss zu finden. Punktum! Nichts einzuwenden, soweit, lieber Paps – doch nicht erst nach 20:00 Uhr!

Schon schaltet sich mein dummes, stets vorlautes Berater-Gen ein: „Sie wollen Ihren Sohnemann doch nicht unnötig belasten, oder? Können Sie sich vorstellen, dass ein vom – wie ich höre – leider üppigen Abendessen dermaßen belastetes Kind wie Ihr Jonas sich je morgens entspannt fühlen wird? Zu späte Nahrungsaufnahme belastet nicht nur den Körper, sondern erwiesenermaßen auch Geist und Seele. Dazu winkt bei Jonas schon ein offensichtliches Übergewicht!“

Kaum ist mein kleines Referat heraus, vernehme ich auch schon ein beleidigtes Murmeln der Mutter: „Na hören Sie mal? Unser Jonas ist doch nicht übergewichtig!“ Ja klar!

Zum Mitschreiben

Ein Kind wird niemals richtig unbeschwert sein, solange ihm alles schwer im Magen und damit auf der Seele lastet. Solch ein Kind wird durch sein „Dauersattsein“ ständig auch in seinem Verhalten „satt“, sprich gesättigt erscheinen. Nicht umsonst gibt es den metaphorischen Ausspruch: „Ich hab’s satt!“

Schweigen im Walde

Es ist eigentlich erschreckend, wie heikel das Thema Essen und Körpergewicht in unserer derzeitigen Familienkultur zu sein scheint. Man redet davon nur hinter vorgehaltener Hand oder lieber gar nicht. Wenn jemand es wagt, dieses Thema anzurühren, ist schon Feuer am Dach. Man verniedlicht, spielt herun-ter oder reagiert unangemessen und damit für ein Kind immer traumatisierend.

Meiner Wahrnehmung nach hat es sich irgendwie eingebürgert, erst dann zu reagieren, wenn die Diagnose „Adipoditas“, also Fettleibigkeit, bereits auf dem Arztbericht steht. Mit anderen Worten: Der berühmte Ausdruck „Übergewicht“ wird erst dann verwendet, wenn man schon von „Schwergewicht“ sprechen kann. Erste äußere Anzeichen, wie sie bei einer erschreckend hohen Anzahl von Kindern bereits klar vorhanden sind, werden völlig ignoriert: Doppelkinn, Zellulitis, eingezogene Knöchel und Ellenbogen, Bauchwölbungen aller Grade und so weiter.

Ich empfinde es glattweg als „Misshandlung“, wenn jemand zusieht, wie sein Kind den Belastungen seines eigenen Körpers ausgesetzt ist, und dann noch kein Wort darüber verliert, wenn es langsam, aber sicher zunimmt! Dabei sind viele Anzeichen für ein „Zuviel“ recht deutlich: Schon die allzu bekannte Falte unter dem Kinn ist bei Kindern ein absolutes Alarmzeichen für zu viel Fett. Wieso wird das eigentlich immer als „völlig normal“ angesehen?

Esstörung oder Fütterproblem?

Kaum jemand gibt also zu, dass das Essverhalten seines Kindes gestört oder einfach nur „falsch“ ist. Der Grund dafür ist klar: Dazu müsste man sich selbst Schuld eingestehen. Wer aber tut das schon freiwillig? Denn im Grunde liegt das Problem nicht beim Essverhalten der Kids, sondern beim „Fütterungsverhalten“ der Eltern. Vom Säuglingsalter an: Kinder essen das, was sie bekommen. Wird Essen bereits im Kleinkinderalter zum wichtigsten Genuss-Erlebnis für das Kind, spricht man von Ersatzbefriedigung. Dieses Verhaltensmuster aber gerät später nur allzu oft außer Kontrolle. Denn wenn der essfreudige Nachwuchs später genug „Essensgeld“ dabei hat, geht’s erst so richtig los.

Klar ist: Eine sehr rasch immer größer werdende Anzahl von Kindern isst und trinkt falsch. Das heißt: zu viel, zu spät, zu häufig, zu zwanghaft, zu süß und so weiter. Dagegen, meine ich, sollte rasch etwas getan werden!

Fünfmal am Tag

Ich glaube, besonders die „Lehre“ von den fünf kleinen Mahlzeiten am Tag hat viel in Richtung Essensmissbrauch ausgelöst. Das Problem ist: Es bleibt ja nicht bei wirklich „kleinen“ Teilmahlzeiten. Und eine ganze Packung Chips ist eben auch keine kleine Mahlzeit. Es ist erschreckend, was Kinder so den Tag über alles in den Mund stopfen. Manche ohne nennenswerte Pause. Dass jedoch gerade diese Pausen für das Verdauungssystem dringend notwendig sind, scheint viele offenbar kaum zu interessieren. Oder wissen sie es nicht?

Wir haben es geschafft!

Mein dick geschmiertes Brötchen ist gegessen. Wem es Ihnen nun ein wenig im Halse steckt, spülen sie es hinunter mit dem süßen „Trank der Veränderung“. Ändern Sie mutig so manches: Stärken Sie Ihr Kind von nun an lieber mit ausreichend seelischer Nahrung und halbieren Sie die körperliche. Finden Sie Alternativen für das tägliche späte Familien-Essen und ermutigen Sie die Kinder, sich schon an kleinsten Nahrungs-Mengen zu freuen. Bald werden Sie erleben, wie Ihr Kind besser schläft, wie es vielleicht ein wenig dünner wird und man wieder Muskeln sieht und Rippen anstatt Rundungen. Genießen Sie vor allem, wie es sich wieder unbelasteter, lebendiger und somit deutlich entspannter fühlt!

Sie werden es mögen!


Redaktion

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