Scheibchenweise

Kolumne von Eva Unterburg

Scheibchenweise - Kolumne von Eva Unterburg, Grafik: Günter Land

Das Leben ist schon komisch. Kaum hat man sich in einer Situation wohlig warm eingerichtet, schon wird alles wieder anders.

Nehmen Sie nur die Schwangerschaft. Kaum hat man sich an das Rumoren im deutlich vergrößerten Bauchraum gewöhnt, da will das Kerlchen mit viel Getöse raus. Dann einige Monate später, hat man sich endlich damit abgefunden, nie wieder ein eigenes Leben zu haben, da schläft das Kind völlig unerwartet durch und man bekommt vor Schreck einen Milchstau.

Inzwischen kann der kleine Wicht sitzen und man kann sich darauf verlassen, dass er oder sie genau da bleibt, wo man sie oder ihn abgesetzt hat, da passiert das Unerwartbare: Das Kind ist plötzlich weg. Einfach losgekrabbelt, so ganz mir nichts dir nichts. In dieser Zeit empfiehlt es sich, die unteren Regionen der Wohnung kindersicher zu gestalten, sprich alle Bücher, elektrischen Schreckensgeräte und sämtlichen Schnickschnack von unten nach oben zu räumen.

Sieht nicht gut aus, hilft aber ungemein. Allerdings auch nur so lange, bis das Kindelein sich wie von Zauberhand plötzlich nach oben zieht und beginnt die Welt auf zwei wackeligen Beinchen zu erkunden.

Ab jetzt ist komplett Schluss mit alten Gewohnheiten, denn nichts ist mehr sicher. Kind kurz abstellen, um mit Einkaufstüten beladen den Autoschlüssel ins Schloss zu stecken – geht nicht. Kind ist schneller als die Einkaufstüten. Kind kurz abstellen, weil an der Kasse das Portemonnaie mal wieder ganz unten in der übervollen Handtasche steckt – geht nicht, denn Kind im Supermarkt verlieren ist noch viel schlimmer, als ohne Bezahlung dort wegzugehen.

Hat man sich an die Mobilität des kleinen Wirbelwinds gewöhnt und das Leben läuft in geregelten Bahnen, kommt die nächste Zäsur: der erste Kindergartentag. Da heißt es: Ruhe bewahren und nicht den kompletten Vormittag vor der Kindergartenpforte nervös auf und ab zu gehen für den Fall, dass irgendetwas sein könnte. In der Regel hätte man vier Jahre Zeit, sich in diesem neuen Zustand als Eltern einzurichten, kämen da nicht irgendwelche kindlichen Phasen dazwi-schen, die mit vielen „Ich will nicht“ und lautstarken „Neins“ einhergehen, vielleicht mit gelegentlichen Schreiattacken im bereits erwähnten Supermarkt oder ähnlich geeigneten Lokalitäten, wo völlig unbeteiligte Passanten dann ungefragt sich zu gut gemeinten Erziehungsratschlägen hinreißen lassen.

Beginnt dann der Ernst des Lebens, wie vielleicht bei Ihnen zuhause in diesem September, verändert sich schon wieder alles. Man muss hinnehmen, dass die nette Lehrerin vom Eltern-abend immer Recht hat und man selbst gar nicht mehr, dass immer vor Weihnachten noch mal eben gefühlte 787 Arbeiten geschrieben werden und dass das Kind groß wird.

Erschreckend groß sogar und dass man selbst komisch wird. Das heißt dann Pubertät und in den folgenden Jahren gewöhnt man sich am besten an gar nichts mehr, denn so schnell wie sich absolute Begeisterung mit schwersten „Die Welt ist schlecht“-Phasen des Adoleszenten nun abwechseln, kommt das elterliche Herz sowieso nicht mehr mit. Und ehe man sich‘s versieht, hat das Kind seinen Schulabschluss gemacht und weiß oft selbst nicht, wie das passieren konnte.

Jetzt droht die schlimmste aller Veränderungen am Horizont. Früher oder später wird das Kind ausziehen, das heimische Nest verlassen und raus in die raue Welt gehen. Und das ganz ohne elterliche Begleitung. Nun heißt es ultimativ, den Helikopter im Hangar zu lassen, auch wenn die Flügel heftig kreisen und allzu gern abheben würden. Suchen Sie sich in dieser Phase am besten ein, zwei Hobbys oder ein zeitverschlingendes Ehrenamt und kleben Sie sich einen roten Punkt auf Ihr Telefon. Er wird sie daran erinnern, dass höchstens jeder fünfte Anruf wirklich angebracht ist, um das Verhältnis zu Ihrem nun erwachsenen Kind nachhaltig positiv zu gestalten.

Und wenn Sie sich schließlich daran gewöhnt haben, mehr eigenes Leben zu haben, als Ihnen lieb ist, hat das Kind Liebeskummer oder Semesterferien und schon ist wieder alles anders. Der alte Schlendrian mit langem Schlafen und Wäsche an Stellen im Haus, wo man Wäsche nie vermuten würde  fängt wieder an. Genau da bin ich momentan….

Auf der nach oben offenen Richterskala bin ich gespannt, an was ich mich demnächst so gewöhnen darf und welches Scheibchen Leben als nächstes ansteht.


Eva

Eva Unterburg

Eva Unterburg schreibt wunderschöne Rezensionen über Kinderbücher und ist langjährige Freundin der Redaktion.

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