Pädagogische Vollbremsung

Glosse des Wiener Verhaltenspädagogen Gerhard Spitzer über mobilitätsbeschränkende Beobachtungen in Krisenzeiten

Lebensrezept?

Braves Verhalten in Krisenzeiten? Gut! Kinder frei laufen lassen? Ziemlich gut! Aber geht das zusammen mit dem aktuell immer noch hochgradig rückzugsschwangeren Alltag? Kann man Kids noch mobil halten, wenn hauptsächlich Stillhalte-Parolen ins pädagogische Lebenskonzept ‘reinpfuschen? Anders gefragt: Haben Kinder noch Bock auf unbeschwertes Herumwuseln, wenn von allen Seiten her eher Angst auf die immer noch gruselig leeren baby-elefantösen Kinder-Spielplätze einzieht, anstatt fuffzig krakelende Minis auf einem Haufen?
Lassen wir dazu erstmal einen großen Denker zu Wort kommen:

„Angst kann uns zwar davor bewahren das Unrechte zu tun, aber sie bringt uns noch lange nicht dazu, das Rechte zu tun!“
Alfred Adler

Sehen wir’s mal so: Zu den Grundaufgaben von uns Eltern beim hoffentlich hoch-ansteckenden Vorbereitungskurs auf´s Leben sollten wir es irgendwie hinbekommen, dass unsere jetzt noch kecken Kleinen bald anfangen, „das Rechte“ zu tun, will heißen, das Richtige!

Top-Prädikat

Gut soweit! Aber in der letzten Zeit haben wir unserem lieben Nachwuchs eine gehörige Dosis lasst-uns-Euch-mal-fest-einbremsen-Aktionismus verkauft – und das auch noch als „alternativlos“! Das, liebe Freunde meiner Kolumne, fürchte ich, verdient das Prädikat: „Pädagogische Vollbremsung“.
Es darf gefragt werden: Wird beispielsweise die monatelang kategorisch postulierte „drinnen sitzende“ Vermeidungshaltung unsere lieben Kids in die pädagogisch richtige Ausgangposition für genügend Mobilität im Leben versetzen? Haben wir den naturgemäß „quirligen“ und meistens sogar im Schlaf unentwegt irgendwie herumwuselnden Gemütern unserer Kinder möglicherweise manch einen nachhaltigen Schaden verpasst?

Verifiziert

Einige Schäden konnten jedenfalls verifiziert werden, weil mein Beratungsteam und ich da sozusagen „am Ball“ sind. Gehört und niedergeschrieben wurde beispielsweise dies hier: „Du kommst mir zu nah, mein Kind! (Tante zur siebenjährigen Nichte) „oder „Rennen darfst du hier nicht! Da kannst du dich anstecken!“ (Opa zu Enkelbub, sechs Jahre)
Mein persönlicher Favorit: „Wenn du jetzt zu deinem Freund gehst, holen die sicher die Polizei!“ (Mama zu Sohnemann, acht Jahre). Aber es kommt noch dicker: Solche Exekutiv-Fälle sind während der „heißesten“ Phase der Bewegungslosigkeit übrigens tatsächlich mehrfach beobachtet worden – allerdings bei uns in Österreich muss ich einschränken!
Ein Beispiel für Gruselfans, in Kurzform: Kind, neun, hält es zu Hause nicht mehr aus, will besten Freund besuchen. Auch der ist neun Jahre, wohnt nur wenige Schritte entfernt, schräg vis a vis. Dessen Eltern sind aber gleichermaßen flink wie kreativ und rufen kur­zerhand die „Funkstreife“! Die kommt dann auch angebraust und hat nun einen neuen Gefangenen. Aller­dings einen heulenden!
Aber genug der gruseligen Geschichten! Wenden wir uns schöneren Seiten zu…

Schöne Seiten

Eine davon trifft punktgenau unser Kernthema: Es ist die – vertrauen Sie mir – ganz sicher immer noch tief in allen Kindern schlummernde Grundkonzeption des unbändigen Bewegungsdrangs. Mag das Daddeln auch noch so geil sein!
Dieser unbändige kindliche Mut zu neuen Erkundungen und möglichst mobilem Herumziehen wird sich trotz manch einem vielleicht etwas tiefer sitzenden Erschrecken und manch einer vielleicht gar nicht auf den ersten Blick erkennbaren Post-Coronalen Langzeitlast als „unkaputtbar“ erweisen. Da wette ich drauf! Obendrauf kommt aber auch noch der Traum nahezu eines jeden Kindes dieser Welt, den Eltern mal „kurz entgehen zu dürfen“…

Elternfrei

Verhaltenspädagogisch gesagt: Kinder brauchen elternfreie Zeit! Punktum! Jetzt ganz be­sonders, wo sie lange Wochen die geballte Eltern-Gegenwart erdulden haben müssen. Wenn Sie. liebe Freunde des KARLSRUHER KIND, diesen Drang jetzt auch noch ein bissl unterstützen – und sei es nur für eine überschaubare Viertelstunde – können Sie mit Sicherheit Top Bonus-Punkte bei Sonnenschein & Co sammeln: „Du darfst heute für uns zwei ganz alleine im Supermarkt einkaufen!“ Oder auch nur: „Lauf los! Wir warten hier auf dich!“ Kurz allein! Draußen! Unbeobachtet!
Noch ein vorletztes Geheimnis zum leichteren Lösen der pädagogischen Vollbremse: Auch Sie, liebe Eltern, brauchen jetzt dringend kinderfreie Zeit! Das ist wissenschaftlich verbrieft und bringt mehr Mobilität für Sie selbst. „Drinnen“, wie „draußen“, Sie verstehen?
Ein Letztes: Nur wenn es Ihnen selbst gut geht, geht es auch Ihren Kindern gut! Psst! Weitersagen!

Sie werden es mögen!


Redaktion

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