KiddyCoach Gerhard Spitzer über hausgemachten Leistungsdruck

Schlechte Zensuren? Wollen wir nicht!

Gerhard Spitzer, der bekannte Wiener Verhaltenspädagoge und Autor von Top-Sellern wie „Entspannt Erziehen“ und „Warum zappelt Philipp?“, hat mit seiner humorvollen und konsequent kindgerechten Sichtweise schon zahllosen Eltern zu einem entspannteren Umgang mit ihren Kindern verholfen. Einer breiten Hörerschaft ist Spitzer durch seine Hörfunk-Live-Talks, sowie mit seinem erfolgreichen Seminarkabarett, „Kinder im Tyrannenmodus“ bekannt geworden.

In meinem Job als Erziehungsberater stoße ich oft auf fließende Grenzen: Sind wirklich bloß klassische Schulprobleme im Anmarsch, oder sind es eher „erzieherische Wurzeln“, die, wie bei dem elfjährigen Damian, andauernd schlechte Zensuren ins Haus bringen? Wir werden das sogleich erfahren, weil mich die entnervte Mutter des Leistungsunwilligen zu einer Dringlichkeitssitzung einberufen hat.

„Mein Sohn ist nur noch faul!“, führt Damians Mama einen sofortigen Frontalangriff gegen den aktuell leistungsschwachen Sohnemann, der neben mir sitzt und ziemlich eingeschüchtert wirkt. „Mein Sohn macht kaum noch Hausaufgaben und hört auch nicht auf mich, wenn ich ihn deswegen ermahne! Selbständig lernen ist bei ihm sowieso nicht drin! Deswegen haben wir in der neuen Schule auch ständig schlechte Zensuren!“

Wir?

Stopp! Schon ertönt in meinem wahrnehmungsgetunten Pädagogen-Gehirn die erste Alarmsirene: Wie war das, werte Mutti? „Wir“? Ob da, mal ganz abgesehen von den offenbar zahlreichen „Ermahnungen“, vielleicht schon allein aufgrund einer zu innigen Wir-Verbindung manch hausgemachter Leistungsdruck drin steckt? Aber alles schön der Reihe nach: Erstmal gilt es herauszufinden, warum der faule Sack augenscheinlich zu wenig für die Schule leisten will …

FS-Syndrom

Besonders fleißige Leser des KARLSRUHER KIND werden sich vielleicht an den ersten Auftritt des von mir liebevoll als „Faulsack-Syndrom“ bezeichneten kindlichen Störungsbildes vor mehr als einem Jahr erinnern. Schwer ansteckend, die Sache! Weltweit werden immer mehr Kids davon befallen… und Hand auf´s Herz: Manch ein Erwachsener auch. Aber das ist ‘ne andere Story!

Für Eltern wie Lehrer jedenfalls ist es in vielen Fällen nur allzu augenscheinlich, dass Kinder, bzw. Schüler ganz offensichtlich am FS-Syndrom leiden. Während meiner eigenen Schulzeit ist es mir ge-nau-so ergangen. Ich erinnere einen netten Motivationsversuch aus Lehrermund: „Ihr Sohn Gerhard ist nicht dumm, sondern einfach nur ein fauler Sack!“ Das hat mich damals echt volle Kanne motiviert…

Besonders lecker habe ich diese Absonderungen gefunden, weil sie mit schöner Regelmäßigkeit abgelassen worden sind. Irgendwann ist dann nämlich der Punkt gekommen, an dem den Mist selber geglaubt habe. Das bekommt man später nur sehr schwer wieder weg. Noch heute nehme ich mich selbst als eher „zu faul“ wahr, obwohl ich, nüchtern betrachtet, ein hoffnungsloser „Workaholic“ bin. Oder gerade deshalb? Erkennen Sie, wie sehr die Grenzen zwischen Symptom und Ursachen für mangelnde Leistungen verschwimmen? Spannend, nicht?

Wie? Sie vermissen noch nähere Erklärungen? Hier kommen sie …

Wundersame Verbrüderung

Sie erinnern sich noch an die Formulierung aus der Dringlichkeitssitzung vom Anfang? „Deswegen haben wir auch ständig schlechte Zensuren!“ Damians Mutter ist kein Einzelfall. So etwas höre ich andauernd. Erst vorgestern wieder, von einer diensthabenden Oma: „Wir haben schon wieder einen Vierer im Zeugnis!“ „Höre ich recht? Wir? Haben Sie, liebe Omi, etwa selber auch diese schlechte Benotung erhalten oder nur Ihr Enkelkind?“ Oder eine Mutter am Schultelefon: „Meine Tochter kann nicht kommen! Wir haben die Masern!“ Echt? Sie klingen aber auffallend gesund, Guteste!“ Ein Vater schimpft: „Wenn du so weitermachst, werden wir die Lehrstelle niemals bekommen!“ Erkennen Sie den gemeinsamen Nenner?

Zahllose Erwachsene „verbrüdern“ sich durch häufige Wir-Formulierungen mit ihren Kindern und bemerken nicht, dass sie damit nicht nur etwas ganz anderes aussagen, als sie in Wahrheit meinen, sondern dass sie ganz automatisch ihre eigene Selbstwahrnehmung, bzw. ihren ureigenen Leistungsanspruch in ihr Kind hineininterpretieren. Gut, das hat sich jetzt sicherlich kompliziert angehört. Deshalb hier noch ein letztes einprägsames Praxisbeispiel, frisch aus dem Munde einer engagierten Volksschullehrerin: „Liebe Klasse, wir wollen jetzt alle die Hefte aufschlagen!“ Wirklich? Wollen wir alle das?“ Alles klar? Oder zumindest einiges?

Zusammengefasst klingt das so: Wer allzu oft den verbrüdernden Ausdruck „wir“ einsetzt, darf selbstkritisch hinterfragen, ob es nicht die ureigenen Leistungsvorstellungen sind, die da in den täglichen Anforderungscocktail für’s Kind mit hineingemixt werden. Überforderung und Leistungsabfall inklusive …

Ich und du

Es ist also nicht zu unterschätzen, wie wichtig es ist, auf Formulierungen, aber auch auf die eigene Einstellung zu achten, wenn man sein Kind zu wirklich guten Leistungen anspornen will. Deshalb geht mein Tipp heute in die Richtung Abgrenzung zwischen „Ich“ und „du“. Du, mein liebes Kind, hast den Vierer bekommen, nicht ich. Oft kann schon allein diese sorgfältige Wortwahl wahre Wunder bewirken. Nebenbei können Sie dann auch viel leichter transportieren, was Sie persönlich möchten: „Ich würde mich freuen, wenn du mir deine Hausaufgabe zeigst!“ „Ich bei schon sehr gespannt, welche tollen Fotos du für dein Referat verwendest!“ Erkennen Sie den kleinen Unterschied? Spüren Sie, wie der Leistungsdruck nachlässt? Wenn Sie diesen viel entspannteren Umgang dann auch noch mit Spaß und dem Fördern der ohnehin immer vorhandenen kindlichen Neugier verbinden, werden sich die Zensuren Ihres Nachwuchses vielleicht bald auf wundersame Weise verbessern. Ganz ohne äußeren Druck oder innere Verbrüderung. Sie werden es mögen!


Redaktion

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