Ich will spielen! Eltern im Animationsmodus

Gerhard Spitzer, der bekannte Wiener Verhaltenspädagoge und Autor von Top-Sellern wie „Entspannt Erziehen“ und „Warum zappelt Philipp?“, hat mit seiner humorvollen und konsequent kindgerechten Sichtweise schon zahllosen Eltern zu einem entspannteren Umgang mit ihren Kindern verholfen. Einer breiten Hörerschaft ist Spitzer durch seine Hörfunk-Live-Talks, sowie mit seinem erfolgreichen Seminarkabarett, „Kinder im Tyrannenmodus“ bekannt geworden.

Diesmal zeigt uns ein sehr interessantes Fallbeispiel, wie leicht es passieren kann, dass ein unspektakuläres, aber dennoch problematisches Freizeitverhalten unserer kleinen Kinderzimmer- Anarchisten zuweilen durchaus auch das Attribut „hausgemacht“ verdienen kann.

„Mir ist langweilig!“

„Also unser Michael kostet uns manchmal schon sehr viel Kraft!“, beschwert sich Rebekka L., die junge Mutter eines 7-jährigen Sonnenscheins, der es trotz viel Charme und hohem Knuddel-Faktor offenbar mächtig drauf hat: „Unserem Sohnemann ist total oft langweilig! Sobald dieser anstrengende Zustand erreicht ist, schaltet unser Junge sofort um auf so eine Art Fremd-Animationsmodus. Das heißt, er will einfach kompromisslos von uns beschäftigt werden. Wenn wir nicht gleich alles liegen und stehen lassen, um ihn mit irgendeinem Vorschlag oder einem Spiel zu beschäftigen, kann er so richtig schön loslegen, schreit dann meistens. Dabei hält er kaum ein Spiel, das wir ihm vorschlagen, länger als 15 Minuten durch! Wenn er also sein leidvolles mir-ist-schonwieder- langweilig-Gezeter ablässt, glaube ich manchmal, er will uns nur provozieren, um auszutesten, was wir so an Ideen drauf haben! Wie können wir unserem Sohn helfen, dass er sich längere Zeit mit einer einzigen Sache beschäftigen kann?“ Als Nachschlag hat Harald L., der Vater des kleinen Wirbelwindes, noch eine eigene Frage zu dem Problem: „Hat unser Kleiner vielleicht ein Aufmerksamkeits- Defizit?“

Kein Defizit

Als der Junge gleich meinem ersten forschenden Blick völlig ruhig und fokussiert standhält und dabei auch noch ein verschmitztes, beinahe wissendes Lächeln aufsetzt, habe ich erst einmal ganz stark den Eindruck, dass hier wohl nicht die Spur irgendeines Defizits vorliegt. Eher das Gegenteil scheint der Fall zu sein: Michaels Blick scheint vielmehr etwas zu bestätigen, das seine Mutter kurz zuvor schon ziemlich treffend ausgedrückt hat: „Ich will eigentlich andauernd nur austesten, was die Beiden in puncto Freizeit so für mich drauf haben.“ Willkommen auf dem Planeten der dauer-animierten Kinder!

Animationsfilm

Treue KARLSRUHER-KIND Leser und sturmerprobte Eltern werden nun wohl schon erraten, welcher Film hier offenbar abläuft: Richtig! Es dürfte wohl so etwas wie ein „Animationsfilm“ sein: Unser guter Michi, wie ihn seine Eltern liebevoll nennen, kennt offenbar seit seiner Kleinkindzeit kaum ein anderes Freizeitverhalten, als jenes, das seine Eltern ihm permanent vorschlagen, sobald es nur so aussieht, als ob dem kleinen Prinzen langweilig sein könnte. Mit anderen Worten: Michaels Eltern verstehen sich als „Dauer-Animateure“ ihres Kindes. Mit dieser anstrengenden Pädagogik-Variante stehen Sie übrigens nicht alleine da.

Erkenntnisse

Auch ich selbst habe vor sicher schon hundert Jahren meine harte Lehrzeit mit meinem ersten Kind zugebracht. Ich erinnere mich noch an ein Genörgel meiner damals 6-jährigen Tochter: „Mir ist so langweilig!“ Spontan ist mir damals nur eine Antwort eingefallen: „Mir nicht!“ Diese „herzlose“ Antwort hat mich damals selbst überrascht, weil ich zu dieser Zeit der absolut typische Daueranimateur für alle Facetten des Umgangs mit Kindern war. Doch das Ergebnis meines „Rabenvater-Verhaltens“ hat für sich selbst gesprochen: Minuten später war unsere Kleine in ihrem Zimmer verschwunden und kurze Zeit danach ins schönste Rollenspiel mit Puppenladen & Co versunken. Als kleinen pädagogischen Trick habe ich natürlich wenig später eifrig mitgespielt. Sie ahnen schon, was dieses Detail einbringt? Klar! Es festigt das positive Verhalten! Meine Tochter hat also ganz ohne mein Dazutun Ihr Spiel gefunden. Das ist gut! Das gehört positiv wahrgenommen! Zwei-, dreimal haben wir das damals so gemacht. Schluss war mit Genörgel! So einfach kann’s gehen! Hausgemachte Kreativität könnte man das nennen. Genau das aber brauchen Kinder am Nötigsten: Eigene Ideen, Antrieb und Selbst- Motivation. Die Fachleute nennen das Eigenkompetenz. Was lernen wir also daraus? Richtig! Zu unserem Job als Eltern gehört nicht, ständig Animateure für unsere Kinder zu spielen. Je öfter wir augenblicklich bereit stehen, um kindgerechte Beschäftigungen vorzuschlagen oder diese zu „moderieren“, desto weniger wird es für das Kind noch notwendig, sich selbst etwas einfallen zu lassen. Gewöhnungseffekt vom Feinsten. Suchtfaktor inklusive! Was mag wohl der kleine Michael denken? „Meine lieben Erwachsenen springen brav für mich auf, wenn ich auf dem Animationstrip bin. Ich hab sie in der Hand!“

Am Ball

Versuchen wir es also ab nun andersrum zu praktizieren: Lassen wir unsere Kinder ihren wichtigsten Job, nämlich sinnvoll zu spielen, doch hauptsächlich selber machen. Natürlich nicht immer! Das ist schon klar! Aber schließlich soll es ja ihre eigene Spielwelt sein, in die sie gerade einsteigen wollen. Nicht die eines Erwachsenen. Die eigene Spielidee hat auf jeden Fall viel mehr zu bieten. Fantasie- Verzierungen inklusive. Mit eigenen Ideen bleiben ganz automatisch sogar solche Spezialisten wie Michi viel länger „am Ball“. Bald ist ihm nicht mehr täglich „fade im Kopf“. Außerdem wissen Kinder sowieso am Besten, wo der wirkliche Spaß daheim ist und brauchen ganz sicher keine Hilfe dazu. Lassen Sie sich vielleicht ab nun lieber viel öfters vertrauensvoll von manch einer ganz neuen Spielidee Ihres Kindes mitreißen! Kinder-Spiel aus erster Hand, ganz ohne erwachsenen „Input“. Sie werden es mögen!


Redaktion

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