Fußball – Erwachen

Fußball-Erwachen?

Kolumnistin Eva Unterburg

Zur Zeit fühle ich mich oft außen vor, irgendwie nicht dazugehörig, quasi in einer Parallelwelt. Ich verstehe nämlich nichts, eigentlich sogar rein gar nichts von Fußball. Bis gestern war ich sogar der Meinung, die Nationalmannschaft bestünde ebenso wie die Bundesliga aus eingekauften Spielern aller Nationalitäten.

Die Gärtnerin meines Vertrauens klärte mich auf „Nein, die haben alle einen deutschen Pass.“ Ach so, wieder eine Wissenslücke gefüllt. Ich kann mich – wenn Not am Mann ist – mit Menschen aller Wissens- und Arbeitsgebiete unterhalten, mit Archäologen über ihre neuesten Forschungsprojekte, mit Nanophysikern über die Grenzgebiete ihrer Wissenschaft und mit Förstern über einseitige Wiederaufforstung, aber nicht mit Fußballbegeisterten. Da fehlen mir die Grundkenntnisse und das fällt meinem Gegenüber sofort auf.

Da gibt’s kein Philosophieren wie beim Nanophysiker, kein Schwelgen in alten Kulturen oder begeistertes Erzählen vom letzten Walderlebnis, da zählen harte Fakten, wer gegen wen neulich gespielt hat und all solche Sachen. Ich kenne noch nicht einmal die wichtigsten Vereine und halte mich schon zurück, wenn mich ein blauweiß- gewandetes Kleinkind aus seinem Kinderwagen anstrahlt, weil ich nicht weiß, ob das Trikot den stolzen Vater dahinter als KSC-Fan ausweist oder irgend etwas mit Bayern zu tun hat.

Und nun das: egal, was ich tue, ob ich die Zeitung aufschlage, im Internet recherchiere oder das Fernsehen einschalte: Brasilien und Fußball! Dokus über dieses Land finde ich ja noch ganz spannend, aber sobald man versehentlich die Werbung erwischt, wird’s schwierig. Sambatanzende Mütter beim Autokauf, sambatanzende Gummibärchen, sambatanzende Erfrischungsgetränke. Unsere Kinder werden noch in zwanzig Jahren der festen Überzeugung sein, dass man in Brasilien fortwährend Bikini trägt und sofort nach dem Aufstehen die Hüften schwingt bis zum stimmungsvollen Sonnenuntergang an der Copacabana.

Heute habe ich versehentlich das erste Fähnchen totgefahren. Glücklicherweise stehen diese Überbleibsel der letzten WM nicht unter Artenschutz und so muss man sich nicht allzu schlecht fühlen, wenn es kurz unterm linken Vorderreifen knirscht, weil ein Kombifahrer auf der Schnellstraße vor einem fahrlässig mit der Halterung seiner Fähnchen umgegangen ist. Überhaupt, die Deutschlandfahne, früher ein Erkennungszeichen freiheitsliebender Studenten und heute? Selbst beim Einkaufen schauen mich Chipstüten, Minikabanossi und fettfreie Brezelchen aus schwarz-rotgoldenen Verpackungen an. Grillsaucen mutieren dieser Tage zu nationalen Erkennungszeichen. Spielen Fußballfans in den Spielpausen munteres Flaggenraten mittels großer Mengen eingekaufter Grillsaucen?

Ich bin irritiert und kaufe keine Grillsaucen mehr. Vielleicht gibt es ja eine klammheimliche Statistik, die aufgrund meines und anderer Leute Kaufverhalten Wetten in konspirativen Kreisen fördert, welches Land nun gewinnt. Und ich möchte mich keineswegs mitschuldig machen am Wettruin meiner fußballorakelnden Mitmenschen. Auf Youtube gibt es Videos, die weltweit die schmerzhaftesten Verletzungen dieses Sports zeigen. Da wird in der Grätsche über den Rasen gerutscht, im doppelten Rittberger dem Gegner ins Kreuz gesprungen, versehentlich einem Mitspieler ins Gesicht und andere empfindliche Körperteile getreten und sich vor Schmerzen auf dem Grün gekrümmt. Da überholen sich Fußballerbeine selbst und liegen Gliedmaßen verdreht am Boden. Sieht nicht lustig aus und ich frage mich, wer sich die Mühe macht, all diese Spiele nach solchen Unfällen zu durchsuchen und vor allem warum? Sind das vielleicht Menschen mit Schmerzfetisch? Oder die gleichen, die Spaß an Upps, der Pannenshow haben? Ich bin schon wieder irritiert.

Und dann ist da noch eine Sache, die mich ratlos werden lässt: Der unmittelbare Augenblick, nachdem jemand ein Tor geschossen hat oder eine Mannschaft den finalen Sieg errungen hat. Entgleiste Gesichtszüge, aufgerissene Münder und zähnefletschende Heroen, martialische Gesten, Männer zu Haufen geballt. Ich weiß, das sind grenzenloser Jubel, wilde Ektase und echte Lebensfreude. Aber, so sehr ich mich auch bemühe es zu vermeiden – Bildsequenzen vom Homo Heidelbergensis und von Primaten im nächstgelegenen Zoo schwirren ungehindert durch meinen Kopf. Und jetzt bin ich schon wieder irritiert. Neulich hörte ich von einer Initiative deutscher Kaufhäuser, die allen Käufern 10% Rabatt auf alles (außer Tiernahrung?) geben, wenn sie während der Zeit wichtiger Spiele bei ihnen einkaufen. Vielleicht mache ich das. Ich glaube, wir brauchen noch Grillsaucen…


Eva

Eva Unterburg

Eva Unterburg schreibt wunderschöne Rezensionen über Kinderbücher und ist langjährige Freundin der Redaktion.

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