Dekorausch

Eva Unterburg schwelgt vorweihnachtlich

Grafik: Günter Land

Neulich war ich ein einem Laden. Ein sehr schöner Laden mit allerlei Deko-Artikeln. Man fühlte sich wie im Inneren eines Kaleidoskops, überall Glitzer, Glimmer und herrlichster Firlefanz in den buntesten Farben.

Aber am beeindruckendsten fand ich die meterhoch getürmten Weihnachtsartikel im Schaufenster. Schon von draußen leuchteten bunte Rentiere mit schelmisch dreinblickenden Weihnachtsengeln um die Wette, glitzerten nos­talgische Rauschebärte und befederte Vögelchen im 20er Jahre-Look an weiß bemalten Zweigen und luden putzige Spieluhren mit Miniaturwinterlandschaften in Vorfreude auf herrlichstes Weihnachtsgeklimper zum Schlüsseldrehen ein.

Der Laden war komplett voll, nicht nur voller Waren, sondern auch potentieller Käufer, genauer gesagt Käuferinnen. Junge Frauen mit kleinen Kindern, die ich ob ihres Mutes, sich in den zerbrechlichen Dekowelten ungeniert mit vorgebundenen Babies zu bewegen, bewunderte.

Ältere Frauen mit großen Kindern, die wechselweiße ein „Schau mal, so eins gab`s bei uns früher auch“ oder ein „Oh Gott, das muss ich haben“ verlauten ließen, beides freudig erregt und leicht kurzatmig wegen der ungezügelten Begeisterung.

Staunende Augenpaare, fachkundige gegenseitige Einschätzungen, wo man was am besten dekorieren könnte, welche Farbe dieses Jahr der Baum tragen sollte und warum welche Plätzchenformen nicht funktionieren. Die Elche brennen am Geweih leicht an und bei den Engelchen sind die Füße ständig am Abbrechen, „aber mit etwas Zuckerguss hebt‘s ganz gut und fällt kaum auf.“

Frauengespräche eben, wie sie nur in der Vorweihnachtszeit vorkommen und sich spontan in einem Dekoladen ergeben.

Männer sieht man dort eher selten und wenn, dann mit zusammengekniffenen Lippen und mit ihrem Handy beschäftigt, immer im Schlepptau der Freundin oder Frau und auf deren Fragen wahlweise nickend oder kopfschüttelnd antwortend. Irgendwie resigniert und in wenig weihnachtlicher Vorfreude.

Da frage ich mich, ist das Ausschmücken der eigenen oder auch fremden vier Wände das ureigenste Verlangen oder gar Privileg der Frauen und Kinder?

Wie war das mit den Steinzeitmenschen, waren es nicht die Männer, die Urpferde und zottelige Rinder an die Wände der Höhle von Lascaux malten? Haben nicht Leonardo sein berühmtes Abendmahl und Michelangelo seine noch berühmteren Fresken in der Sixtina hinterlassen, damit es schön sein sollte? Und wie ist es mit den Designern, die ganzen Epochen ihren Stil gaben? Über Jahrtausende brachten sich Männer mit ihren Verschönerungsideen in Höhle, Hof und Haus mit ein, weshalb also nicht im vorweihnachtlichen Dekorausch von heute?

Vielleicht weil es damals noch nicht solche Läden in solcher Anzahl in jeder Stadt gab. Vielleicht sind diese Art von Geschäften die weibliche Antwort auf Baumärkte, auch dort kann man schmallippige Frauen mit Kleinkindern auf dem Arm beobachten, die entnervt ihren mit großen Schritten ausschreitenden Männern folgen, die voller Vorfreude auf die Neuheit in Sachen Bohrhammer und Motorsäge zusteuern.

Und jetzt fällt mir auch die Schnittmenge beider so fern scheinenden Welten auf: in jedem Baumarkt kann man dieser Tage Regale voller pummeliger Weihnachtsmänner, blinkendem Christbaumschmuck und farbenfroher Kerzen in allen Größen finden. Und in jenem Dekoladen sah ich doch tatsächlich kleine Baum-Anhänger im Stil der 50er Jahre und sie hatten die Formen putziger Kettensägen, kleiner Bohrmaschinen und filigraner Malerpinsel.

In diesem Sinne, ein fröhliches gemeinsames weihnachtliches Dekorieren!


Eva

Eva Unterburg

Eva Unterburg schreibt wunderschöne Rezensionen über Kinderbücher und ist langjährige Freundin der Redaktion.

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