Anlässlich des Missbrauchsfalls aus Freiburg

Der Staat soll helfen – aber wie?

Rechtskolumne von Familienanwalt Dirk Vollmer

Der ungeheuerliche  Missbrauchsfall aus Freiburg macht mich traurig und wütend zugleich. Hat das Jugendamt wirklich auch noch zugeschaut? Ist unser Staat derart machtlos? Die Antwort lautet: nein. Allerdings darf der Staat, also Jugendamt und Familiengericht auch nur begrenzt einschreiten. Das verlangt unsere Verfassung, die diese staatlichen Institutionen an Gesetz und Recht bindet. Die Gesetze sehen durchaus staatliche Eingriffsbefugnisse vor, etwa die Inobhutnahme eines Kindes durch das Jugendamt, was auch vom Familiengericht im Eilverfahren ohne mündliche Verhandlung abgesegnet werden kann. Alle Maßnahmen, die Verwaltung und Justiz ergreifen, müssen aber verhältnismäßig sein und es ist eben nicht angemessen, bei jedem Anfangsverdacht oder gar nur vorsorglich ein Kind aus seiner gewohnten Umgebung herauszunehmen und es bei Fremden unterzubringen. Es sind viele Dinge zu beachten, nicht nur das Kindeswohl im Sinne körperlicher Unversehrtheit. Jetzt werden Stimmen laut, man solle dem Kindeswohl ein eigenes Grundrecht widmen. Was soll das ändern? Dieser Vorschlag hilft den von Misshandlung betroffenen Kindern genauso wenig wie ein Mahnmal. Wohl-gemerkt sind aus juristischer Sicht Kinder keineswegs schutzlose Wesen, denn für Sie gelten natürlich alle Menschenrechte. Auch die Vorstellung, es werde alles gut, wenn dem Kindeswohl ein grundsätzlicher Vorrang eingeräumt werde, finde ich grotesk. Wo kommen wir denn hin, wenn wirklich auf bloße Verdachtsmomente hin Familien in verstärktem Umfang zerrissen werden, Geschwister getrennt werden, Umgangskontakte grundlos unterbunden werden? Wer will die Verantwortung tragen für Fehlentscheidungen? Vor allem, wer kümmert sich dann um all die vermeintlich schutzbedürftigen Kinder? Es gibt ja jetzt schon kaum Pflegefamilien, erst recht nicht in der Bereitschaftspflege.

Nach wie vor werden Menschen entscheiden, nach wie vor gibt es amtliche Aufklärungspflichten, nach wie vor gibt es zu wenig Personal beim Jugendamt und zu wenig gut ausgebildete Familienrichter. Nach wie vor sind von Missbrauch betroffene Kinder naturgemäß kaum in der Lage, ihre Rechte selbst zu verteidigen, geschweige denn auf ihre Situation überhaupt aufmerksam zu machen. Nach wie vor sind es in vielen Missbrauchsfällen enge Angehörige oder nahe Bezugspersonen, die sich an Kindern vergreifen. Nach wie vor sind wir es, nämlich die gesamte Gesellschaft, die die Verpflichtung hat hinzuschauen. Wir alle müssen wachsam sein und den Schwachen helfen. Das gilt für Kinder und für alle anderen Menschen, die diese Unterstützung brauchen.

So abstoßend wie die aufgedeckten Missbrauchsfälle leider immer wieder sind, so wenig helfen Hauruck-Aktionen des Gesetzgebers. Wo der Staat allerdings helfen könnte: Mehr Aufklärung und Sensibilisierung der Öffentlichkeit, mehr Mitarbeiter im Jugendamt, mehr frühe Hilfen, mehr Polizei, mehr Personal bei den Gerichten. Das alles kostet viel Geld. Die öffentliche Diskussion wird zeigen, ob die Gesellschaft das investieren möchte. Was aber kein Geld kostet, ist die soziale Kontrolle durch die Gesellschaft selbst. Das Nicht-Weg-Schauen von Freunden, Nachbarn, Lehrern, und allen anderen.

Rechtsanwalt Dirk Vollmer

Fachanwalt für Familienrecht

www.schneideranwaelte.de


Redaktion

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