In dieser Ausgabe geht es um all die Gefühle, die man am liebsten gar nicht kennen würde: Sorgen, Ängste, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung. Aber wenn sie schon einmal da sind, dann kann man auch Bücher daraus machen, das scheinen sich die Autoren und Autorinnen der folgenden vier sehr empfehlenswerten Titel gedacht zu haben. Und ihre Botschaft ist klar: Angst zu haben ist gar nicht schlimm, denn sie warnt uns vor Gefahren. Und gegen alle anderen doofen Gefühle finden sich wunderbare Strategien, um mit ihnen umgehen zu können. Das Ganze wird durch tolle Illustratorinnen und Illustratoren gekonnt in Szene gesetzt. Viel Spaß beim sorgenfreien Lesen!
Über Hoffnung, Sorgen und Schokokekse
Vom erfolgreichen Instagram Post zum ersten Buch: Die beliebten Cartoons und Bildergeschichten von Worry Lines machen das sorgenvolle Leben gleich viel leichter. Ihr Stil ist unverwechselbar und ihre vier Protagonisten Hoffnung, Angst, Sorge und Liebe schließt man sofort ins Herz. Die einfarbigen Männchen drücken in ihrer reduzierten Zeichenweise Vieles auf den ersten Blick aus, dass man sich mit Erstaunen fragen muss, wie so etwas überhaupt möglich ist. Das blaue Sorgenmännchen sollte in diesem Buch eigentlich nicht aktiv unterwegs sein, aber es schmuggelt sich immer wieder auf die Seiten. Zu schön der Dialog zwischen dem weißen Autorinnen-Männchen und der krawalligen Sorge: „Das ist ein Desaster, Sorge! Wenn Hoffnung weg ist, dann werde ich mein Buch niemals beenden….du wirst mich nicht aufhalten. Flipp jetzt bitte nicht aus.“ Mit großen Augen steht Sorge daneben um auf der nächsten Doppelseite in einem fulminanten Rückwärtssalto genau das zu tun „Ich flippe aus, wann ich es will!“ steht unterstrichen in einzelnen Worten über den Sequenzen des Sprunges. Unten geduckt das Autorinnenmännchen mit ihren bunten Büchern im Arm. Und zum Glück sind da ja noch die gelben Fußspuren von Hoffnung zu sehen. Es gilt also zu hoffen, dass das Buch trotz Sorgen-voller Seiten doch gelingt. Und es ist gelungen, soviel Herzenswärme und hintergründiger Witz! Dazwischen traumhafte Cartoons, wie dieser über Empathie mit dem Titel Symbiose: das weiße Männchen gießt mit einer roten Gießkanne eine Topfpflanze, nach und nach entwickeln sich grüne Blätter und an der Spitze des Stängels eine gelbe Blume. Die schließlich zur gelben Gließkanne heranwächst und ihrerseits den Gärtner mit wohltuendem Wasser beglückt. Da geht es einem sofort viel besser!
Worry Lines, 208 Seiten, Lappan 2022, ISBN: 978-3-8303-3635-8, € 16, ab 12 Jahren
Lotte, träumst du schon wieder?
Wer jemanden mit ADHS kennt, weiß um die vielen Stärken dieser Menschen. Wer ein Kind mit ADHS durch die Schulzeit begleitet, kennt auch die vielen Höhen und Tiefen, die es zu bewältigen gilt, bis eigene Strategien gefunden sind, um das Leben eines Träumers oder einer Wirbelwindin glücklich führen zu können. Für all diese Kinder, deren Eltern und Lehrer ist dieses Buch Gold wert! Lotte ist ein zehnjähriges Hasenmädchen und hat es viel schwerer als ihre beiden Freundinnen, die Bärin Frieda und die fleißige Ente Merle. Ständig hört Lotte Sätze wie „Träumst du schon wieder?“, „Wie sieht es denn hier aus!“ oder „Wann wirst du endlich fertig, Lotte?“ Ziemlich frustrierend und dabei erlebt Lotte doch in solchen Träumerei-Momenten die spannendsten Abenteuer auf ihrem Piratenschiff. Dort kämpft sie mutig gegen ihre Gegnerin, die erstaunlich viel Ähnlichkeit mit ihrer Lehrerin Frau Luchs hat. Hausaufgaben dauern bei Lotte furchtbar lange und fast immer ist sie zu spät dran. Auch bei Klassenarbeiten wird sie nie fertig und ihre Noten sind trotz vielen Übens meist nicht gut. Dabei gibt sie sich solche Mühe! Zum Glück gibt es die Freundinnen und den verständnisvollen Onkel mit seinen guten Tipps. Er weiß von was er spricht, denn er ist selbst ein Träumer. Und dann ist da noch die Wölfin Sakiba. Sie zeigt Lotte Achtsamkeitsübungen, die ihr helfen sich zu fokussieren und konzentriert eine Arbeit beenden zu können. Dieser Kinderroman mit seinen entzückenden Illustrationen ist einfach schön zu lesen und man spürt von der ersten Seite an, dass das Autorenpaar aus der Praxis kommt und genau weiß, wovon es schreibt. Dieses Buch hätte mir vor vielen Jahren selbst sehr viel Mut gemacht.
Stefanie Rietzler & Fabian Grolimund, Marcus Wilke (Illustr.), 256 Seiten, hogrefe 2020, ISBN: 978-3-456-86081-7, € 24,95, Ab 7 Jahren
Das komische Gefühl
Gefühle kann man nicht sehen, nur fühlen. Und komische schon gar nicht. Vielleicht könnte man als dunkelfarbiges Kritzelkratzel zeichnen, wie das Andreas Német in diesem sensibel geschriebenen Bilderbuch getan hat. Mal kreisrund dumpf ziehend, wie bei dem Mann in der gelben Jacke oder als schwarzes Gezacke im Bauch der Frau mit dem Hund. Offensichtlich haben alle Menschen ab und zu komische Gefühle im Bauch. Und das ist gut so, denn sie warnen vor Situationen, die nicht guttun. Das ist der Tenor der ersten Seiten. Ob im Dunkeln in einsamen Treppenhäusern oder auf dem Spielplatz mit der fremden Frau, die viel zu viel fragt. Oder nach dem Fußballspiel, wenn der Trainer das nackte Kind sehr lange in der Dusche ansieht. Wenn sich das lesende Kind komisch fühlt, dann darf es GANZ schnell zum besten Tipp aller Zeiten einige Seiten weiter wechseln: Auf der gelben Seite nämlich steht in großen Buchstaben „Nein! Ich will das nicht. Hör auf! Lass sein!“ Das komische Gefühl erklärt weiter: „Und wenn der Erwachsene kein Doofi ist, dann versteht er das auch.“ Und dann hat das komische Gefühl seine Mission erfüllt und kann sich wieder zurückziehen. Welch ein tolles starkes Bilderbuch, bravo! Als letzten Tipp sieht man ein Kind inmitten einer bunten Menschenschar, jung, alt und ihm immer mit einem freundlichen Gesicht zugewandt: An all diese Leute darf sich das Kind mit dem komischen Gefühl wenden, wenn der entsprechende Erwachsene eben doch ein Doofi ist.
Hans-Christian Schmidt, Andreas Német (Illustr.), 40 Seiten, Klett Kinderbuch 2022, ISBN: 978-3-95470-268-8, € 15, ab 4 Jahren
Wer hat Angst vor der Angst?
Vor vielen Jahren versuchte ich einmal, der unbestimmten Angst meines damals kleinen Neffen auf die Spur zu kommen. Seine Erklärung: „Ich hab einfach Angst vor der Angst“. Und nun heißt doch tatsächlich dieses großartige Kindersachbuch aus Tschechien genauso! Dieses große Buch über die Angst ist nicht nur für kleine Angsthasen gedacht, wie es im Untertitel heißt, sondern auch besonders wertig gemacht. Großformatig, graphisch und farblich sehr stylisch gestaltet und in zwölf Kapitel gegliedert, beleuchtet es in humorvollen Dialogen und kindgerechten Erklärungen alle Aspekte der Angst, wie sie uns im Alltag begegnet. Wovor fürchten sich wohl Jugendliche oder Tiere? Hängen bestimmte Ängste mit bestimmten Orten zusammen? Ja, in Island fürchtet man sich vor Vulkanausbrüchen und die Russen haben Angst, dass ihre Nasen erfrieren. In Märchen wimmelt es nur so von angenehmen Ängsten und während die Menschen des Mittelalters sich vor der Hölle fürchteten, waren ihren Nachkommen die neuen rasanten Eisenbahnen nicht geheuer. Wie fühlt sich Angst eigentlich im Körper an? Und wie kann man diese Emotion überwinden? Dieses sehr zu empfehlende Kindersachbuch ist eine wahre Fundgrube für den angstbefreienden Umgang mit der Angst.
Milada Rezková, Lukás Urbánek und Jakub Kase (Illustr.), 200 Seiten, Helvetiq 2021, ISBN: 978-3-907293-09-6, € 24,90, ab 8 Jahre
