Bitte – Häuslicher „Bettelorden“

KiddyCoach Gerhard Spitzer über erzieherische (Un-)Sitten beim gemeinschaftlichen Wohnen

Gerhard Spitzer, der bekannte Wiener Verhaltenspädagoge und Autor von Top-Sellern wie „Entspannt Erziehen“ und „Warum zappelt Philipp?“, hat mit seiner humorvollen und konsequent kindgerechten Sichtweise schon zahllosen Eltern zu einem entspannteren Umgang mit ihren Kindern verholfen. Einer breiten Hörerschaft ist Spitzer durch seine Hörfunk-Live-Talks, sowie mit seinem erfolgreichen Seminarkabarett, „Kinder im Tyrannenmodus“ bekannt geworden.

Gregors Zimmer ist mal wieder in einem solch ausgereiften Chaos-Zustand, dass nicht einmal mehr die Umweltschützer von Greenpeace bereit wären, sich das anzuschauen. Frauke, die Mutter des Neunjährigen interveniert heute mal endlich ernsthaft und auch stimmlich mit allem ihr zu Gebote stehenden pädagogischem Nachdruck: „Sag mal, du Faulpelz, räumst du jetzt bitte endlich dein Zimmer auf?“

Na bitte! Das hat ja richtig streng geklungen. Man sieht auch sofort den Erfolg: Unser Gregor, nun als „Faulpelz“ abgestempelt, macht auch ganz genau das, was seinem Stand gebührt: nichts! Nein, eigentlich macht er schon etwas: Unwillig verzieht der Junge sein ansonsten total harmlos wirkendes Gesicht, murrt ein kurzes: „Ja, ja!“, und widmet sich sofort wieder seiner geliebten Spielkonsole. Das war’s! Ende des drastischen Fallbeispiels!

„Halt mal!“, höre ich da den ersten Leser-Protest, „was, bitteschön, war denn an dem doofen Beispiel so drastisch? Das mit dem Faulpelz etwa? Oder das bisschen stimmlicher Nachruck?“ Nix von alledem, liebe Leute! Es ist das „Bitte“ in Fraukes pädagogischer Intervention, das da nicht hingehört.

Lieblings-Sätze

Bevor wir aber diesem Detail aus verhaltenspädagogischer Sicht zu Leibe rücken, kann ich es mir nicht verkneifen, bei Ihnen nachzufragen: Wie geht es Ihnen denn, liebe Eltern, wenn Sie gerade mit ihrem Nachwuchs ein kleines Hühnchen rupfen? Haben Sie dabei auch Ihre ganz persönliche, kleine Sammlung von immer wiederkehrenden Bitte-Sätzen?

„Kannst du dir bitte die Zähne putzen?“; „Räumst du bitte deinen Teller …?“ Kannst du bitte ein einziges Mal im Haushalt mithelfen?“; „Wann holst du bitte endlich deine stinkenden Socken aus meinem…?“ Na gut, das könnte jetzt ohne weiteres auch ein Dialog zwischen Eheleuten sein…

Aber Sie haben sicher ohnehin schon erkannt, worum es hier geht, oder?

Ein allseits offenbar überaus beliebter Weg, der in unzähligen Haushalten dieser Welt meist unerkannt beschritten wird, ist das Erbetteln von Tätigkeiten, die für ein harmonisches Zusammenleben eigentlich selbstverständlich sein müssten. Hinter diesem Satz erkennen Sie jetzt sicherlich schon die nächste, ziemlich tief greifende Schlussfolgerung, die ich Ihnen hier, nicht ganz ohne behutsames Augenzwinkern verkaufen will: Das Wörtchen „bitte“ wird von fast allen Erziehenden dieser Welt maßlos überschätzt! Mehr noch: Gemessen an seinen Spätfolgen wird es leider ebenso maßlos unterschätzt. Ich rate daher: Verwenden Sie es ab heute ein bisschen seltener! Sofern es Ihnen, bitteschön, keine Umstände macht!

Bitte und Danke

Und wie sollen meine Kids nun das „Bitte“ und „Danke“ erlernen?“, fragt mich soeben von schräg hinter mir mein Cheflektor! Na klar, das musste doch kommen! Warum überrascht mich diese Frage jetzt bloß nicht? Und warum muss dieser übereifrige Mann bloß immer mitlesen? Damit es für Sie, liebe KARLSRUHER KIND-Fans und auch für den Herrn Lektor schön spannend bleibt, löse ich dieses Mysterium erst am Ende der Kolumne auf. Bitte um Geduld!

Spätfolgen

Wie? Sie fragen sich, für wen ein kleines „Bitte“ denn so furchtbare Folgen haben kann? Na hauptsächlich für Sie selbst, liebe Eltern! Wenn Sie selbstverständliche hausinterne und verhaltenstechnische Dinge immerzu von Ihrem Kind „erbitten“ müssen, dann wird Ihr persönlicher Stellenwert in der kindlichen Wahrnehmung mit der Zeit eben immer stärker mit dem eines klassischen „Bittstellers“ verknüpft. In der Fachsprache nennt man das deshalb auch trefflich „Fehlverknüpfung“. Anders ausgedrückt: Ihre Rolle als Bezugsperson, die eigentlich klare Grenzen und Vorgaben setzen will und soll, beginnt zu verschwimmen. Aber es kommt noch dicker… 

Hitverdächtig

Es wird sich nämlich gleich zeigen, dass unser Fallbeispiel doch so drastisch nicht war. Sie hatten also eingangs ganz recht! Wirklich hitverdächtig werden pädagogische Interventionen erst mit Ansagen wie diesen: „Wie oft soll ich dich noch bitten?“; „Hast du gehört? Ich habe ,bitte’ gesagt!“, oder der absolute Bringer: „Ich bitte dich kein zweites Mal!“

Hast du doch gerade gemacht, Mom!“, denkt beispielsweise unser Gregor, der Faulpelz und Pfiffikus.

Und? Was nun? Erstmal: Sicherlich ist Ihnen aufgefallen, dass die meisten unserer netten Bitte-Sätze als Fragen formuliert waren. Eine klassische Frage eröffnet aber immer ganz automatisch die Option zur Ablehnung: „Würdest du jetzt bitte…?“, „Nein, Mom, jetzt nicht!“

Fazit: Das „Bitte-Syndrom“ ist mit ein Grund, warum Kinder Ihre routinemäßige Mithilfe im Haushalt eher gerne durch „häusliche Sklavenhaltung“ ersetzen. Dazu aber mehr in einer späteren Kolumne.

Lösung: Als Bezugsperson haben Sie nicht nur das Recht sondern auch die Pflicht, die für ein harmonisches Zusammenleben erforderlichen Verhaltensmuster klar und deutlich einzufordern, ohne darum bitten zu müssen: „Ich möchte, dass du jetzt dein Zimmer aus dem Seuchenzustand holst!“… oder wie wär’s mit zutiefst positiven Formulierungen: „Ich freue mich schon, wenn ich heute dein aufgeräumtes Zimmer sehe!“, oder: „Ich verlasse mich auf dich, dass du…!“  Wetten, dass Ablehnung oder Ignoranz dann nur noch halb so stark ausfallen?

Mysterium Höflichkeit

Und? Wie lernen die Kids nun ihre dringend notwendige Portion Höflichkeit für´s Leben? Ganz einfach! Ausschließlich durch persönliche Anliegen: „Kannst du mir bitte ein Glas Wasser bringen mein Schatz?“ Ein gelegentliches: »Ich danke dir, das hast du super gemacht!«, oder Ähnliches können natürlich auch nicht wirklich schaden. Besonders, wenn die Leistung des kleinen Faulpelzes ein gerüttelt Maß über die Routine hinausgegangen ist. Mysteriöserweise werden also durch etwas weniger „Bitte-Sätze“ sowohl die persönliche Wertschätzung, als auch die häusliche Lebensqualität erhöht.

Sie werden es mögen!


Redaktion

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