Begegnungen der „ersten Art“

Unser Wiener Kolumnist und Heilpädagoge, Gerhard Spitzer, hat ziemlich eigenartige „Baby-Gespräche“ belauscht.

Der bekannte Wiener Verhaltenspädagoge und Erfolgs­autor Gerhard Spitzer, Gründer des Vereins KiddyCoach und Autor von „Entspannt Erziehen“ ist bekannt durch seine humorvollen Vorträge zum Thema.

Morgengrauen

Als die gerade mal fünf Monate junge Elisa frühmorgens in Ihrem abrupt anhaltenden Kinderwagen aufwacht, sieht sie sich einem riesigen Gesicht gegenüber. Noch dazu einem, das sie noch gar nie gesehen hat! Die etwas verhutzelte Physiognomie eines offensichtlich weiblichen Erwachsenen verdunkelt den ansonsten strahlenden Himmel vollständig. Dann beugt sich die Visage auch noch ganz nah vornüber und verzieht ihre Lippen in geradezu groteske Breite. So lernt dieses unschuldige Baby also im sechsten Monat seiner Existenz schon mal, was „Morgengrauen“ in der Praxis bedeutet.

Wo ist sie denn?

Plötzlich kommen auch noch gar seltsame und überdies ziemlich schrille Töne über die Lippen der unbekannten Person: „Ei-dududu!“ und dann weiter: „Du süüüßes Schnuckelchen, Hutziputzi! Bittu du aber süüüüß!“. Und zum grauenhaft gesäuselten Finale: „Heya! Ja wo issi denn, meine kleine Prinzessin!“

Schau´n wir bei der Gelegenheit doch noch ein wenig tiefer rein in Prinzessin Elisas Hirnwindungen. Die signalisieren in diesem Moment nämlich sinngemäß folgendes: „Was soll das? Was fragst du, wo ich bin! Wozu hast du diese riesigen Glupschaugen in deinem Gesichtchen? Ich liege hier vor deiner Nase rum und muss mir doofe Fragerei anhören? Ja, wo issi denn? Seid ihr Verwachsenen alle so schräg drauf? Dann will nicht erwachsen werden! Helft mir doch, Leute!“

Nette Nachbarin

Mir bleibt jetzt natürlich der unangenehme Teil der selbst verursachten Geschichte: Ich muss Ihnen Frau Adelheid Bundschuh vorstellen, die immer „nette“ Nachbarin von Gegenüber. Sie hat unser Baby Elisa heute zum ersten Mal zu Gesicht bekommen und für ihre Begegnung der ersten Art natürlich punktgenau ihren hochprofessionellen Standard-Verständigungsversuch für Neugeborene mitgebracht, noch ehe Mama das Übel verhindern konnte.

So, jetzt sind Sie wieder dran, liebe Freunde meiner Kolumne: Bitte nicht den Kopf schütteln wegen so viel Überzeichnung: Denken Sie bitte bloß nicht, dass das eben beschriebene Verhaltensmuster nicht aus dem Leben gegriffen wäre. Ich erlebe solche Teletubbi Verständigungsversuche gestandener Erwachsener tatsächlich andauernd. Besonders Groß- und Schweigermütter neigen offenbar zu so erstaunlich „zuckersüßem“ Verhalten, während sie daheim mit ihren Männern ganz andere Töne anschlagen – dann aber in weniger säuselndem Sprach-Duktus!

Nichts gegen Schwiegermütter und deren Kommunikationsverhalten! Verstehen Sie mich hier bitte nicht miss! Hoch leben mögen sie alle, denn ohne sie ginge vieles im Familienleben rein gar nicht!

Zurück zum Thema, das sicher schon klar vor Ihrem elterlich geschulten Auge liegt:

Gutes Recht

Wer meint, bei Frau Bundschuhs Sprachanwendung handle es sich um eine altersgerechte Kommunikation mit Kleinkindern, der irrt. „Babylein“ hat nämlich ein gutes Recht darauf, wahrzunehmen, wie Erwachsene im normalen Alltag so klingen, insbesondere natürlich, wenn es sich um viel wichtigere Bezugspersonen als Nachbarin Adelheid handelt. Die Guteste kann also künftig ihre kreativen Bemühungen und Zungenbrecher bei der Zusammenstellung wundersamer Vokabeln beruhigt einstellen. So erreicht sie auch das zugänglichste Nachbarskind eher nicht…

Sollten Sie, liebe Eltern, oder sonstige Familien-Mitglieder also zu ähnlichem neigen, kann ich Sie aus verhaltenpädagogischer Sicht darin leider nicht bestärken. Bitte nehmen Sie konsequent Abstand von solchen Niedlichkeits-Kommunikationsformen. Versuchen Sie stattdessen zu erspüren, wie sich in Gegenwart Ihres Kleinkindes ein schlichtes, gelassenes, dafür aber liebevolles „Guten Morgen, mein Schatz!“ oder „Hallo, mein Liebling!“ für Sie anfühlt. Etwa ganz normal? Sehen Sie? Ist ja meine Rede!

Ich verspreche Ihnen: Babys Ohren werden durch diese Art der Sprachanwendung wesentlich offener und acht- und damit buchstäblich „folgsamer“ werden. Auch später, wenn es mal in erzieherischer Hinsicht um’s Eingemachte geht! Sie müssen also schon gleich nach der Geburt an später denken!

Doch für später gibt es ohnehin noch eine viel weiter reichende Erkenntnis: Wie auch immer Sie mit Ihrem Sonnenschein kommunizieren möchten, das wahre Geheimnis harmonischen Zusammenlebens birgt sowieso Ihre Körpersprache! Weniger, was Sie sagen ist entscheidend, sondern vielmehr wie Sie dabei aussehen, wie Sie klingen und welches Gesamtbild sich für Babys Augen aufgrund Ihrer Körpersprache ergibt.

Gut für Tubbi-Fans

Allerdings ist für Liebhaber der hochkreativen Baby-Gebrabbel-Verständigung noch nicht alles verloren: Neuere entwicklungspsychologische Forschungen sprechen nämlich durchaus dafür! Jedoch nur dann, sagen die Wissenschafter, wenn Sie Babys Geplapper nachfolgen, oder mit anderen Worten: wenn Sie es unmittelbar „beantworten“ wollen. Ein Beispiel? Gut! Wonneproppen Karli philosophiert: „Ga-ga-eigl-eigl“. Oma antwortet grinsend: „Gaga-eigl-eigl?“ Dabei achtet sie darauf, eine Frageform einzuhalten. Sie lässt ihre direkte Antwort also eher wie eine „bestätigende Frage“ klingen. Gut gemacht, Omi! Das ist hoch kommunikativ! Das erhöht Karlis Gefühl, wahrgenommen, gehört und verstanden zu werden und lustig ist es allemal für alle Beteiligten! Das würde auch bei Prinzessin Elisa perfekt hinhauen.

Also machen Sie ganz entspannt weiter mit Ihrer bisherigen babytauglichen Verständigung, aber bitte gleich ab heute mit ganz normalem Sprechverhalten!

Sie werden es mögen!


Redaktion

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